#Castilho

Warlock! Forever: das Langfristpotenzial des Systems

Seba hat mich animiert, etwas zu Warlock! zu schreiben, weil ich mich offenbar im System-Matters-Discord-Kanal zum Spiel auffällig verhalten habe. Die Idee: wie taugt das auf Deutsch neu erschienene System auf lange Sicht, d.h. für längere Kampagnen? Vorneweg gleich eine Entschuldigung: ich habe ihm gesagt, dass ich „seit Jahren“ Warlock! spiele. Das ist auch nicht ganz falsch, aber es sind jetzt im Sommer genau drei, nicht wie behauptet vier Jahre. Ich hätte schwören können… aber sei’s drum, 35 Spielabende in drei Jahren sind lange genug für diesen Artikel. Ich habe in der Zeit durchgehend denselben SC gespielt (manchmal war’s knapp!) und nur als Spieler an der Runde teilgenommen.

Ist Warlock! auch für längere Kampagnen geeignet? Ich denke ja. Ich möchte etwas aufschlüsseln, warum ich das so einschätze, denn ich vermute, dass das Urteil darüber wie so oft in unserem Hobby von den eigenen Erwartungen oder Spielvorlieben abhängt.

Fangen wir mal mit den Aspekten an, die sich auf lange Sicht als fehlend oder störend herausstellen könnten. So können alle, die sich direkt angesprochen fühlen, Zeit beim Lesen des Artikels sparen 😊

Warlock! bietet keine spielmechanische Entwicklung der SC zu Superhelden. Die Figuren werden mit der Zeit spürbar kompetenter, ein Machtniveau wie z.B. bei D&D 5 wird aber bei weitem nicht erreicht. Die Herausforderungen werden etwas größer, mit der Tarraske werdet ihr es bei Warlock! aber eher nicht zu tun bekommen. Es gibt keine auswählbaren neuen Kampffähigkeiten, Subklassen oder Fertigkeitenbäume und dementsprechend keine großartige Option zu „Builds“. Die Machtkurve der Magieanwendung verläuft mit sanfter Steigung, nicht exponentiell oder in klar vorgegebenen Stufen mit mächtiger werdenden Zaubersprüchen. Auch findet man keine eigenen Subsysteme wie Magieschulen oder Zauberkombos. Langzeitmotivation aus solchen Elementen wird es also kaum geben.

Dasselbe Bild bei der Ausrüstung: wer den Monty Haul mit kistenweise Schwertern +5, einem 50-Liter-Fass selbstgebrauter Heiltränke und an jedem Finger einen Ring der magischen Geschosse schätzt, wird bei Warlock! nicht bedient. Je nach Spielstil könnte zudem für längere Runden ein Mangel an Regeln für Gefolgsleute, Reisen (egal ob klassisch über Land oder per Schiff, Fluggefährt oder anderem Fortbewegungsmittel) sowie für Massenschlachten und Kämpfe zu Pferd, auf Schiffen o.ä. zu Schwierigkeiten führen – dazu jedoch ganz unten noch einige Anmerkungen.

Was hat Warlock! dann langfristig zu bieten? (Warnhinweis: Wie oft im Oldschool-Rollenspiel-Bereich hängt dabei einiges von der Interpretation des Ganzen durch die Spielleitung und von der Eigenmotivation der Gruppe ab!)

Auch ohne Talentbaum gibt es spielmechanische Entwicklung. Der Zuwachs an Fertigkeiten ist kontinuierlich und langsam, mit der Zeit aber spürbar. Da es nach den meisten Abenteuern oder Spielabenden „Aufstiege“ gibt, hat man fast immer etwas zu steigern (hmmm, Dopamin!). Ein SC wird wahrscheinlich nach der Startlaufbahn eine zweite Laufbahn dazubekommen, dann mit Glück und Geschick eine (oder mehrere!) Fortgeschrittene und (zumindest auf Englisch) sogar eine Expertenlaufbahn erlangen können. Generell gibt es brutal viele Laufbahnen, die noch dazu recht leicht selber zu basteln sind. Weder das Erstellen eines neuen Charakters nach dem verfrühten Ableben des alten noch die Entwicklung über längere Zeit werden da langweilig, zumal die Laufbahnen mit ihren geforderten Gegenständen, Ressourcen und anderen Eigenheiten in sich für dauernde Abenteuermotivation sorgen. Auch die Suche nach neuen Zaubern (nicht vergessen: bei Warlock! ist jede:r zauberkundig!) motiviert auf lange Sicht. Durch die große und leicht erweiterbare Auswahl an Zaubern sowie den Blumenstrauß an Fertigkeiten kommt Abwechslung ins Würfeln, wenngleich natürlich manche häufiger genutzt werden als andere (Seitenblick zu Aufmerksamkeit…)

Das Laufbahnsystem kombiniert mit den „Aufstiegen“ finde ich sehr natürlich, es passiert fast immer was und es gibt Ziele, auf die man hinarbeiten kann. Man kann sich jedoch auch überraschen lassen – die Charakterentwicklung kann (und wird wahrscheinlich) passend zu den tatsächlich erlebten Abenteuern verlaufen. Das bringt Unvorhersehbarkeit und ein literarisches Element (Barbarians of Lemuria macht das ähnlich, inspiriert von einschlägigen Büchern, in denen die Helden auch in alle möglichen Rollen schlüpfen). Spielmechanische und erzählerische Entwicklung sind bei Warlock! schön verflochten. Auch die laut Regelbuch zufällige Auswahl der Startlaufbahnen in Kombination mit jeweiligen Zufallstabellen und den drei ausgewürfelten Charaktereigenschaften macht die Sache unplanbar und damit aus meiner Sicht reizvoll. Das Tempo der SC-Entwicklung ist durch das System der Aufstiege ganz gut anpassbar, es gibt keine statischen EP-Tabellen oder vorgeschriebenen Meilenstein, ein „Ende“ der Entwicklung ist nicht vorgegeben.

Die Aufstiege sind aus meiner Sicht am ehesten der Punkt, an dem das System langfristig kippen kann. Gibt die SL zu viele davon aus, erreichen die SC schnell die Grenzen der Laufbahnen, und wenn dann nicht bald eine neue Laufbahn möglich wird (also die benötigte Ausrüstung und am besten eine story-mäßige Rechtfertigung für den Wechsel vorhanden sind), dann sitzt man erstmal da und sammelt weiter Aufstiege auf seinem Charakterbogen. Gibt es zu wenige Aufstiege, bewegt man sich lange bis sehr lange im „Mudcore“- oder „Bauerngaming“-Bereich, was nicht allen Runden gefallen dürfte. Das Regelbuch schlägt 1 bis 3 Aufstiege pro Sitzung vor.

Mein Vorschlag: die Spielabende meiner Gruppe dauern üblicherweise 2 bis 3 Stunden. Wenn die Gruppe dabei etwas erreicht, finde ich 1 bis 2 Aufstiege angemessen, letzteres aber eher wenn es schon nennenswerten Fortschritt gab (z.B. mehrere Begegnungen oder das Überwinden eines größeren Hindernisses). Ich denke, wenn der Spielabend sehr kurz war (weil Chips und Tratsch™) oder die Gruppe so gar nicht vorangekommen ist, darf die SL auch mal 0 Aufstiege verteilen – nicht als Strafe, sondern um sozusagen das Tempo zu halten. 3 (oder mehr) Aufstiege würde ich für den Abschluß von größeren Abenteuern/Geschichten oder für längere Sitzungen verteilen.

Ich empfehle, die Charakterbögen der Gruppe im Blick zu behalten und ggf. das Vergabetempo zu erhöhen oder zu drosseln. Natürlich darf die SL die Runde auch einfach fragen, ob es passt. Wichtig ist sicherlich auch, in der Spielwelt Möglichkeiten für das Erreichen von Laufbahnvoraussetzungen zu schaffen – wenn SC nur Dungeonabenteuer in abgelegenen Wildnissen erleben, werden sie wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, ein Streitross, einen Handelsbrief oder einen Haufen Gefolgsleute zu beschaffen. Am besten auch hier: miteinander sprechen, damit die Vorstellungen aller am Tisch ausgesprochen sind.

Okay, nochmal zurück zu den vorhandenen langfristig motivierenden Faktoren. Warlock! bietet ab Werk eine Welt die so vage ist, dass man praktisch alles modulartig hineinbauen kann – auch Regeln für Gefolgsleute oder Überlandreisen aus anderen Systemen. Was ihr langfristig spielen wollt, könnt ihr ins System stecken. Viel kaputtgehen kann da nicht. Domänenspiel ist ebenfalls kein Problem. Warlock! hat zwar keine Regeln dafür, aber die Mechanik kriegt ihr falls gewünscht auch anderswo her. Was es hat: allerlei nützliche Fertigkeiten und Unmengen an erzählerischen Anknüpfungspunkten über die Laufbahnen der SC. Hier kann man Diplomatie und Autorität mal richtig raushängen lassen, und Priester, Händler oder Räuberanführerin schreien ja geradezu nach eigenen Domänen. Wenn ihr nicht „hacken“ möchtet, gibt es ein enormes offiziell publiziertes Ausbaupotenzial auf Englisch: Dämonenbeschwörung, Feuerwaffen, Reiseregeln – alles erhältlich.

Mir macht Warlock! seit Jahren großen Spaß. Mein SC hat mittlerweile zwei Basislaufbahnen abgeschlossen, einiges erlebt und genug Aufstiege für eine Fortgeschrittene Laufbahn beisammen. Er braucht leider noch ein schnelles Pferd oder Kamel dafür, denn wir sind gerade in Fern-Hissain (so viel Sand…). Und ihr könnt das auch haben! Egal ob ihr einen Abenteuerpfad eines anderes Systems adaptiert, wie meine Runde eher modulartig und offen spielt oder euch an die legendäre Warhammer-Kampagne The Enemy Within (auf Deutsch als Der Innere Feind erschienen) wagen möchtet – das sollte alles hinhauen!

Ihr merkt: das Abenteuer wartet diesmal richtig lange.

Illustration: “Veteran” von Carlos Castilho

#campaign #Castilho #Charakterentwicklung #Erfahrungsbericht #Fantasy #Kampagne #lowFantasy #oldhammer #Oldschool #OSR #PenPaper #pnpde #Rollenspiel #Spielleitung #warhammer #Warlock_

"Veteran" von Carlos Castilho.

Client Info

Server: https://mastodon.social
Version: 2025.04
Repository: https://github.com/cyevgeniy/lmst