Warum wir die AfD jetzt aufhalten müssen – Dankesrede Volksverpetzer für den Marion-Samuel-Preis
10
Warum wir die AfD jetzt aufhalten müssen – Dankesrede Volksverpetzer für den Marion-Samuel-Preis
von Thomas Laschyk | Juni 16, 2025 | Aktuelles
Das ist der Volltext der Rede von Volksverpetzer-Gründer Thomas Laschyk, die er beim Erhalt des Marion-Samuel-Preises der Stiftung Erinnerung Landau am 9. April 2025 gehalten hat. Hier ist das Video der Rede.
Heute stehe ich vor Euch dankbar und demütig. Und auch mit Sorge. Es ist mir eine außerordentliche Ehre, den Marion-Samuel-Preis entgegenzunehmen – eine Auszeichnung, die nicht nur unsere Arbeit mit Volksverpetzer würdigt, sondern auch die Bedeutung des stetigen Erinnerns und kritischen Hinterfragens unserer Gesellschaft unterstreicht.
Als Gründer von Volksverpetzer habe ich meinen Weg erst mühselig suchen müssen. Ich habe den aufkeimenden Hass, die Sagbarkeit der Lüge mitverfolgt. Und während für mich von Anfang an klar war, dass dies zu bekämpfen galt, ist meine Frage bis heute: Aber wie?
die Sagbarkeit der Lüge
Ich bin dabei nicht als einzelner Kämpfer auf einer einsamen Mission unterwegs, sondern als Teil eines großartigen Teams, das meine Leidenschaft teilt. Philip, Gordana, Freddy, Saskia, Lotte, Dan, Tom, Natalie, Christoph, Eileen, Sophie, Marcello und Franziska und die, die das Team wieder verlassen haben. Sie helfen mir nicht nur dabei, diese Ideen umzusetzen, diesen Kampf zu führen. Sondern viel wichtiger: Sie haben diesen Blog, der mal als Hobby angefangen hat, mit ihren ganz eigenen Ideen und Impulsen zu so viel mehr gemacht, als ich das je alleine hätte machen können. Deshalb möchte ich mich auch noch einmal explizit bei meinem Team bedanken, das diese Auszeichnung erhalten hat. Mein Team, die ich auch meine Freunde nenne.
Aber auch wir als Team sind nicht alleine in diesem Kampf: Ich sehe uns hier stellvertretend für alle Journalistinnen und Journalisten, den Aktivistinnen und Aktivisten, den kritischen Bürgerinnen und Bürgern, die nicht zulassen, dass historische Verbrechen in Vergessenheit geraten. Die ihre Stimme gegen Hass, Lügen und Unrecht erheben.
In diesen Zeiten, in denen der Faschismus wiederkehrt, ist es umso wichtiger, mit Besonnenheit, Respekt und einer unerschütterlichen moralischen Grundhaltung aufzutreten. Und das selbstkritisch, aber entschlossen. Und wie heißt es so bekanntermaßen: Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist verdammt, sie zu wiederholen.
Die Geschichte hat uns wiederholt gelehrt, wie leicht sich gesellschaftliche Dunkelheit in den Alltag einschleichen kann, wenn wir uns dem Vergessen hingeben. Marion Samuel stand – und steht –für all jene, die Opfer des Faschismus wurden. Das Andenken an unsere Mitmenschen ist von unschätzbarem Wert. Es ist eine Mahnung an uns alle, dass wir niemals die Verantwortung abgeben dürfen, die Vergangenheit wach und präsent zu halten. Und – und so verstehe ich die Auszeichnung an uns – aus dieser Erinnerung auch für die Zukunft lernen.
Abzuwarten heißt, abzuwarten, bis es zu spät ist
Denn wer zurückblickt, kann nicht umhin, die neuen Parallelen zu erkennen. Und entsprechend zu Handeln. Wir sehen doch alle, wohin sich das entwickelt. Jetzt heißt es noch, das sei übertrieben, wir sollen nicht so panisch sein. So schlimm ist es noch nicht, so weit sind wir noch nicht. Der Denkfehler ist aber, deshalb die Hände in den Schoß zu legen. Genau dann, wenn es noch nicht so schlimm ist, ist die Zeit, zu handeln. Abzuwarten heißt, abzuwarten, bis es zu spät ist. Erich Kästner hat den Faschismus einst als Lawine beschrieben. Wir dürften nicht warten, bis die Lawine nicht mehr aufzuhalten sei. Wir müssen den Schneeball zertreten, solange er noch ein Schneeball ist und noch keine Lawine. Heute stehen wir vor einem Schneeball. Wir müssen ihn aber auch jetzt zertreten.
Ich möchte hier Marina Weisband zitieren, die nachfolgende Sätze zur Rede zum 80. Befreiungstags des KZ Buchenwalds vor wenigen Tagen äußerte:
„Wenn der Faschismus kommt, scheint noch immer die Sonne. … Alles ist normal. Nur trans Menschen verlieren ihre Rechte. Und Asylsuchende. … Und Behinderte. Und Muslime. Und Juden. Und linke Journalisten. Und dann andere Journalisten. Und ich. Und Sie.“
Unsere heutige Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit
Unsere heutige Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit, sie muss täglich neu errungen und bewahrt werden. Medien spielen hierbei eine zentrale Rolle. Es geht dabei nicht darum, konträr oder provokativ zu sein, sondern darum, engagiert für Transparenz, Gerechtigkeit und die Fakten einzustehen. Volksverpetzer hat sich immer der Aufgabe verschrieben, nicht nur Fakten zu checken, sondern auch die Narrative, die unsere Gesellschaft durchziehen. Denn ich glaube weiterhin, dass der Keim des Problems die Lüge ist. Aber ich bin auch überzeugt davon, dass es nicht reicht, einfach nur ihnen mit Zahlen und Statistiken zu widersprechen. Die Menschen werden nicht mit falschen Zahlen indoktriniert. Sondern mit falschen Erzählungen. Und wir müssen ihnen die wahren Erzählungen entgegenbringen. Erzählungen, wie das Schicksal von Marion Samuel.
Als wir das erste Mal von Jörn Seinsch kontaktiert wurden, habe ich natürlich umgehend gegoogelt, wer Marion Samuel eigentlich war. Ihr Leben, was sie gemacht hat. Sie wurde 1931 geboren, zog 1935 nach Berlin, ging 1937 zur Schule. 1943 wurde sie verhaftet und wenige Tage später in Auschwitz ermordet. Und … das war es quasi schon. Es war für mich ein Schlag in die Magengrube. Sie war ein elfjähriges Mädchen, das noch ihre ganze Zukunft vor sich hatte. Hätte haben sollen.
Aber genau darum geht es doch. Genau daran sollen wir erinnert werden. Wohin dieser Hass und dieser Wahn und diese Lügen letztlich führen. Zu den größten Verbrechen der Menschheit.
Wir dürfen uns nicht von jenen manipulieren lassen, die versuchen, die Erinnerung an vergangene Verbrechen zu tilgen und damit den Nährboden für neue Formen von Hass und Ausgrenzung zu schaffen. Die Arbeit, die in Diskursen, Recherchen und kritischen Analysen steckt, ist ein Bollwerk gegen jene, die aus der Geschichte lernen müssten, aber stattdessen neue Kapitel des Schreckens schreiben wollen. Es liegt an uns, dieses Erbe wachzuhalten, es zu ehren und als Mahnung weiterzugeben.
an einem Scheideweg
Gegenwärtig stehen wir an einem Scheideweg. Es gibt Kräfte, die versuchen, die Errungenschaften der Nachkriegszeit zu untergraben und alte Ressentiments wieder aufleben zu lassen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es mehr Menschen gibt – Menschen mit Herz, Verstand und Mut – die sich diesem Wandel entgegenstellen werden. Und das über die Parteigrenzen hinweg. Von Konservativ bis links. Wenn wir uns von den Stimmen – auch aus der vermeintlichen politischen Mitte – einreden lassen, der Graben verlaufe durch uns durch und nicht zwischen uns Demokraten und den Demokratiefeinden, werden wir verlieren. Denn genau so haben die Faschisten schon einmal gewonnen. Wir müssen sicherstellen, dass die Lehren der Vergangenheit nicht in den Staub der Geschichte geraten, sondern dass sie uns zu einem bewussteren und gerechteren Miteinander führen.
Es sind nicht nur die großen, dramatischen Ereignisse, die unser Handeln bestimmen, sondern auch die vielen kleinen, täglichen Entscheidungen – das offene Ohr, das kritische Hinterfragen, die Bereitschaft, auch unbequeme Fragen zu stellen. Jeder Protest, jede Diskussion, jede Petition, jeder Post. Jede Informationsquelle, jede Diskussion, jeder öffentliche Diskurs ist ein Puzzleteil im großen Bild einer demokratischen Gesellschaft.
Wir führen Diskussionen, die vor 10 Jahren noch undenkbar gewesen wären. Und wir gewöhnen uns daran, wie der Frosch an das langsam kochende Wasser. Die Gefahr des Faschismus kehrt in unscheinbarer Weise zurück – oft eingehüllt in Alltag und scheinbarer Normalität. Doch gerade diese Normalität ist trügerisch. Ich habe an jeden einen Appell: Schreibt euch heute auf, wann die rote Grenze überschritten wäre. Welche Maßnahme, welche Forderung, welche Worte unzweifelhaft den Faschismus bedeuten würden. Schreibt es auf, damit ihr den Moment noch erkennt, wenn er in vielleicht auch schon wenigen Jahren kommt. Damit ihr es nicht relativeren könnt, weil ihr euch an diesen Wahnsinn in der Zwischenzeit gewöhnt habt.
laut auszusprechen, wer die Täter sind: Die afd
Wir müssen uns stets bewusst sein, dass die Freiheit und die Menschenrechte, die wir heute genießen, unter ständiger Bedrohung stehen. Dass es an uns liegt, dass die Ermordung von Marion Samuel und so viele andere Menschen wie sie ein Ding der Vergangenheit bleibt. Es gibt Kräfte, die versuchen, das Andenken an vergangene Gräueltaten zu verleugnen, um ihren Hass und ihre ausgrenzenden Ideologien in moderner Form zu erneuern. Daher ist es unsere Aufgabe, diesen Narrativen entschlossen zu begegnen. Und auch laut auszusprechen, wer die Täter sind: Es ist der Rechtsextremismus. Es ist die AfD. Keine Relativierung, die Zeit ist lange vorbei.
Ich rufe Euch alle auf, weiterhin nicht nur passiv zuzusehen, sondern Euch weiter aktiv einzubringen – sei es in den Medien, im Ehrenamt, in politischen Diskussionen oder einfach im täglichen Miteinander. Jeder von uns kann ein Stück dazu beitragen, dass sich die Schatten der Vergangenheit nicht über die Zukunft legen. Lasst uns gemeinsam gegen die Kräfte ankämpfen, die unser Zusammenleben spalten wollen. Lasst uns die Stimme erheben, wenn es darauf ankommt, und gemeinsam für eine offene, tolerante und gerechte Gesellschaft einstehen.
Danke
Und ich … bin so dankbar und demütig, dass ihr meint, dass das, was wir mit unserem Blog machen, das Richtige ist. Wenn ihr das wertschätzt, ist das eines der größten Komplimente, die ich je für meine Arbeit erhalten habe. Wenn Artikel viral gehen, dass wir uns alleine durch die Unterstützung unserer Fans finanzieren können, das gibt mir alle Kraft, weiterzumachen. Das ist schön. Aber heute zu hören: Ihr leistet mit Eurer Arbeit einen Beitrag, dass sich Schicksale wie das von Marion Samuel nicht wiederholen … und das auch in meiner Heimatstadt Augsburg. Danke. Es bedeutet mir so viel.
Zum Abschluss möchte ich mich von ganzem Herzen bei all jenen bedanken, die mich in meinem Wirken unterstützt haben. Dieser Preis ist ein Zeichen der Anerkennung, aber auch ein Mahnmal – ein Appell, dass wir uns niemals in Selbstzufriedenheit wiegen dürfen. Es erinnert uns daran, dass der Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit niemals endet.
Ich danke den Organisatorinnen und Organisatoren des Marion-Samuel Preises, meinen Kolleginnen und Kollegen, der Oberbürgermeisterin Eva Weber und der Stadt Augsburg, Jörn und Ingrid Seinsch und der Stiftung Erinnerung, meinem guten Freund und seit neuestem auch Anwalt Chan-jo Jun und vor allem Euch – allen Menschen und Organisationen, die tagtäglich ihren Beitrag dazu leisten, dass wir als Gesellschaft weiter in die Vergangenheit blicken, damit sie nicht auch wieder unsere Zukunft wird.
Möge die Erinnerung an Marion Samuel, die Hoffnung auf ein freies Morgen und der Einsatz von uns allen für die Wahrheit und die Demokratie uns alle leiten.
Vielen Dank.
Artikelbild: Volksverpetzer
Passend dazu:
Zur Quelle wechseln
#aufhalten #dankesrede #jetzt #marion #mussen #volksverpetzer #warum