14 Tipps für Medien beim Berichten über die rechtsextreme AfD
Dieser Beitrag von Simone Rafael erschien zuerst bei Belltower News.
Nachdem die AfD zwar einerseits durch den Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde, andererseits aber von rund 30 Prozent der deutschen Bevölkerung gewählt wird, stellt sich für Medien erneut die Frage: Wie berichten über die AfD?
Das Spannungsfeld liegt zwischen der Idee einer journalistischen Objektivität, die alle Parteien gleich behandeln sollte, und der Tatsache, dass die AfD eine rechtsextreme, gegen demokratische Werte handelnde Partei ist. Wie soll sie also in der Berichterstattung vorkommen?
Was macht die AfD für Journalist*innen anders als andere Parteien?
Während sich politische demokratische Parteien auf die Idee einer symbolischen Brandmauer geeinigt haben, um die AfD parlamentarisch zu isolieren, diskutieren viele Medien nun, ob es nicht der Respekt für die Meinung der Wähler*innen gebiete, die Partei wie jede andere zu behandeln – auch wenn diese die liberale Demokratie und auch eine unabhängige, freie Presse ablehnt und sogar angreift.
In der journalistischen Berichterstattung sind die politisch legitime Isolierung und Ausgrenzung keine adäquaten Mittel des Umgangs. Fest steht, dass die AfD in der Berichterstattung vorkommen muss, wenn Medien ein umfassendes Bild über politisches Handeln und Gefährdungen der Demokratie in Deutschland geben wollen. Allerdings neigen viele Medien aktuell dazu, die AfD und vor allem deren thematische Setzungen zu sehr zu beachten. Dies kann (auch ungewollte) Verstärkungseffekte zur Folge haben.
Empfehlungen für den medialen Umgang mit der AfD
Bisherige Empfehlungen für die Berichterstattung über rechtsextreme Parteien gelten für die AfD auch weiterhin – und es sind übrigens Empfehlungen, die gern auch für Berichterstattung über alle Parteien – wenn zutreffend – angewandt werden sollten:
- Rechtsextreme benennen, nicht durch harmlose Alltagsbegriffe („Spinner“, „Regierungskritiker“) verharmlosen und normalisieren.
- Prüfen: Wo muss eine Aussage im Wortlaut zitiert werden, und wo lässt sie sich in weniger abwertender Sprache zusammenfassen?
- Zitate nie uneingeordnet lassen, was ihren Wahrheitsgehalt und ihre gemeinte Intention angehen. Falschaussagen immer richtigstellen.
- Rechtsextreme, rassistische, misogyne oder queerfeindliche Aussagen als solche benennen und am besten erklären, warum eine Aussage so klassifiziert wird, damit es für alle Leser*innen nachvollziehbar ist.
- Nicht auf jede Provokation mit einem eigenen Beitrag reagieren, sondern auf analytische, überlegte Stücke mit Erkenntniswert für die Leser*innen setzen.
- Bei der Bebilderung auf Fotos achten, die keine Parteibotschaften transportieren und nicht immer wieder die Parteifarben abbilden.
Propaganda-Begriffe nicht übernehmen!
- Keine rechtsextremen und vorurteilsgeleiteten, abwertenden Begriffe übernehmen und damit normalisieren („Altparteien“, „Messermigration“ usw.).
- Keine rechtsextremen Framings übernehmen (z.B. „Flüchtlingsstrom“ für Menschen auf der Suche nach Schutz oder „Islamisierung“, um Muslim*innen als krisenhafte Bedrohung darzustellen).
- Nicht nur abbilden, sondern dechiffrieren und einordnen: Wenn die AfD etwa von Demokratie spricht, meint sie nicht die gleichwertige Mitbestimmung aller, sondern einen plebiszitär gestützten Autoritarismus, der Andersdenkenden oder Minderheiten Rechte abspricht.
- Keine rechtsextremen Medien kopieren, nur weil diese mit dem Schüren von Empörung, Ängsten und Menschenverachtung vermeintlich erfolgreich sind. Diese machen Politik mit Emotionalisierung, keinen Journalismus.
- Keinen Rassismus, Antisemitismus, keine demokratiefeindlichen Aussagen zum Clickbait in Überschriften nutzen.
- Nicht nur über Aussagen und Handlungen der Politiker:innen, sondern auch über deren Folgen für Betroffene und für die Gesellschaft berichten.
- Rechtsextreme Kontinuitäten, Kontakte und Netzwerke aufzeigen – denn die AfD agiert gesellschaftlich nicht im luftleeren Raum, sondern ist mit der rechtsextremen Szene Deutschlands eng verwoben.
- Keine Normalisierung in Unterhaltungsformaten, Talkshows oder persönlichen Porträts, in denen eine kritische Auseinandersetzung, Kommentierung oder Richtigstellung ideologischer Aussagen kaum möglich ist.
Wie wird Rechtsextremismus normalisiert?
Aus der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass der Prozentsatz von Menschen, die rechtsextremen Ideen anhängen, in Deutschland seit Jahrzehnten relativ konstant bei rund 25 Prozent liegt. Was sich aber verändern kann, ist die gesellschaftliche Akzeptanz des Rechtsextremismus. In Deutschland war Rechtsextremismus in den letzten siebzig Jahren gesellschaftlich stigmatisiert und marginalisiert. Er spielte im politischen Alltagsgeschäft kaum eine Rolle. Dementsprechend gab es zwar Menschen mit rechtsextremen Einstellungen, aber diese äußerten ihre Meinung nicht öffentlich – auch aus Angst vor den Folgen und Konsequenzen.
Von außen kommende Entwicklungen wie Fluchtbewegungen, Terroranschläge oder Gewalttaten können ein solches Gleichgewicht aber ins Wanken bringen. Aber auch die rechtsextreme Szene organisiert sich seit Jahren in einem Kulturkampf. Im Krieg um die Deutungshoheit von Themen versuchen Rechtsextreme, ihre Ideologie im vorpolitischen Raum – wie Sprache und Kultur – zu verankern und zu normalisieren. Online können sie sich dabei der Algorithmen in den sozialen Medien bedienen, die Polarisierung und Spaltung bevorzugen und deshalb Provokationen und sogar Lügen mehr Reichweite verschaffen. Ziel ist die Diskursverschiebung nach rechts – von Vielfalt und persönlicher Freiheit zu Homogenität, „Volksgemeinschaft“ und Repression.
eine Phase der Normalisierung rechtsextremer Meinungen
Wenn Politik und Medien vermehrt anfangen, Themen wie Flucht und Migration kritisch zu kommentieren, kann das dazu führen, dass Menschen sich ermutigt fühlen, sich wieder öffentlich rechtsextrem zu äußern. Wenn sie dabei keinen Gegenwind erleben, vielleicht sogar Zustimmung erfahren, beginnt eine Phase der Normalisierung rechtsextremer Meinungen, die so weit gehen kann, dass die frühere Norm, Rechtsextremismus zu marginalisieren, verschwindet und er stattdessen als legitimer Teil politischer Vielfalt erscheint.
Die Medien haben also ebenso wie die Politik eine wichtige Rolle, um rechtsextremes Gedankengut gesellschaftlich nicht zu verstärken, sondern ihm mit Haltung entgegenzutreten. Sie haben nämlich nicht nur einen Informationsauftrag, sondern auch eine Orientierungsfunktion. Ein „normalisierungsbewusster Journalismus“, so nennt es Politikwissenschaftler Cord Schmelzle auf Spiegel.de, sei sich seiner Wirkung auf soziale Normen bewusst und ziehe daraus Konsequenzen. Soziale Normen seien keine willkürliche Diskriminierung, sondern sie basierten auf den Voraussetzungen für eine liberale Demokratie. Rechtsextreme Parteien vertreten dagegen eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und des Antipluralismus.
Wie lassen sich Verstärkereffekte für rechtsextreme Ideologie vermeiden?
Die bereits eingangs benannten Empfehlungen helfen, die Ideologie der AfD nicht einfach zu propagieren. Wenn Journalist*innen die AfD nicht anders als andere Parteien behandeln wollen, können sie die Empfehlungen auf alle Parteien anwenden. Es ist journalistisches Handwerk.
Darüber hinaus ist aber wichtig, dass Medien als vierte Macht im Staat auch Orientierung geben zugunsten demokratischer Werte. Denn die AfD ist keine Partei, wie alle anderen. Wenn Medien nun versuchen, aus Sorge vor Parteilichkeit keine normativen, also wertenden Einordnungen und Gewichtungen gegenüber der AfD, AfD-Themen und AfD-Framings vorzunehmen, privilegieren sie damit automatisch die Position der radikalen Rechten, weil sie diese im Sinne einer falschen Ausgewogenheit als gleichartig und gleichberechtigt darstellen, obwohl sie mit den Grundsätzen unserer Gesellschaft – wie der Gleichwertigkeit aller Menschen – brechen.
Aktuell ist, auch aus Sorge vor Klagen, die Praxis beliebt, die Orientierungsfunktion an Gastautor*innen zu delegieren, von denen man sich bei Gegenwehr distanzieren kann. Das ist keine gute Praxis. Eine mit journalistisch sauber und plausibel dargelegte und argumentativ unterfütterte Einordnung von Aussagen und Handlungen hilft dagegen Leser*innen und Zuschauer*innen bei der Einordnung des Weltgeschehens. Was wir bei jedem politischen Thema selbstverständlich und wichtig finden, sollten wir nicht ausgerechnet bei der AfD-Berichterstattung vergessen.
Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa
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