Polizeidatenbanken: Keine Palantir-Konkurrenz in Sicht
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Polizeidatenbanken: Keine Palantir-Konkurrenz in Sicht
Die AbhĂ€ngigkeit von US-Konzernen bei Polizeidaten behagt nicht allen innenpolitisch Verantwortlichen. Wird Palantir eine Dauerlösung fĂŒr deutsche Polizeien oder ist eine europĂ€ische oder deutsche Alternative in Sicht? Das haben wir die Landesinnenministerien gefragt.
16.04.2025 um 16:12 Uhr
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2 ErgÀnzungen Rasterfahndung (Symbolbild)
â Alle Rechte vorbehalten QROC Die Trump-Regierung und ihr enger Verbund mit US-amerikanischen Tech-Konzernen schlĂ€gt auch auf innenpolitische Entscheidungen in Deutschland durch. Dazu gehört das Hinterfragen der Zusammenarbeit deutscher Polizeien mit dem US-Konzern Palantir, der vor 22 Jahren gegrĂŒndet wurde und seither den GroĂteil seines Umsatzes durch VertrĂ€ge mit den US-amerikanischen MilitĂ€rs, Geheimdiensten, Ministerien und Polizeibehörden macht.
Zwar ist es keine Neuigkeit, dass gerade im Bereich von personenbezogenen Polizeidaten eine starke AbhĂ€ngigkeit von einzelnen kommerziellen Anbietern problematisch ist, allerdings beginnt das Problem offenbar erst jetzt zu pressieren. Sensible Daten einem auslĂ€ndischen geheimdienst- und militĂ€rnahen Ăberwachungskonzern wie Palantir anzudienen, der seinen Namen buchstĂ€blich auf einen bekannten literarischen Tolkien-Bösewicht bezieht, scheint ein wenig aus der Zeit gefallen. Sind doch bei J.R.R. Tolkien die PalantĂri schimmernde Zauberkugeln, die von Oberfiesling Sauron benutzt werden, um jeden in Mittelerde zu ĂŒberwachen, zu betrĂŒgen und zu bedrohen, der ihm in die Quere kommt.
Im Bundesrat haben sich einige BundeslĂ€nder fĂŒr eine europĂ€ische Lösung einer polizeilichen Auswertungssoftware starkgemacht, die Palantir explizit ausschlieĂen soll. Allerdings bislang ohne Erfolg.
Denn der Bundesrat beschloss am 21. MĂ€rz zwar mit Mehrheit, sich fĂŒr eine bundesweite Bereitstellung einer âInterimslösung fĂŒr eine automatisierte Datenanalyseplattformâ einzusetzen. Die polizeiliche Rasterfahndungssoftware von Palantir wird darin aber nicht ausgeschlossen, sie wird namentlich in dem Beschluss nicht einmal erwĂ€hnt.
Die tatsĂ€chliche Praxis in Deutschland spricht eine andere Sprache: Mit Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen setzen bisher drei BundeslĂ€nder Palantir-Software fĂŒr ihre Analyse von Polizeidaten ein. Genutzt wird dabei eines der Hauptprodukte des geheimdienstnahen Konzerns mit dem Namen Gotham, das fĂŒr die Polizeibehörden âVerfahrensĂŒbergreifende Recherche- und Analyseplattformâ (VeRA) heiĂt.
Ein Rahmenvertrag des Landes Bayern vom FrĂŒhjahr 2022 offeriert auch den anderen BundeslĂ€ndern sowie dem Bund die Nutzung dieser Software zur Massendatenauswertung. Einige LĂ€nder haben Gesetzesgrundlagen geschaffen oder planen dies, um solche Software einzusetzen. Aber nicht alle haben bereits eine Entscheidung gefĂ€llt, ob sie Palantir-Software nutzen werden.
Auf Bundesebene haben die angehenden KoalitionĂ€re zwar angekĂŒndigt, kĂŒnftig auch auf automatisierte Rasterfahndung der Polizeidatenbanken setzen zu wollen. Die Entscheidung der noch amtierenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vom Juli 2023 hat aber noch Bestand. Dem Bundeskriminalamt, dem Zollkriminalamt und der Bundespolizei ist die Nutzung von âBundes-VeRAâ damit versperrt. Stattdessen sollte ein eigenes polizeiliches Recherche- und Analysesystem geschaffen werden. Doch dieses System existiert bisher nicht.
Alternativen zu Palantir
Mecklenburg-Vorpommern hatte sich neben Hamburg im Bundesrat fĂŒr eine europĂ€ische Lösung eingesetzt, die âeine Nutzung von Produkten des marktfĂŒhrenden, US-amerikanischen Anbieters Palantir ausschlieĂtâ. Die Qualifizierung als âMarktfĂŒhrerâ lĂ€sst aufmerken. Welchen Markt fĂŒhrt Palantir denn mit seiner Software an? Wer sind die Konkurrenten?
Christine Skropke von Secunet prĂ€sentiert in der Bundestagsanhörung 2024 den Zeitplan fĂŒr NasA.
â Alle Rechte vorbehalten Deutscher BundestagHeiĂ gehandelt wurde einst der Anbieter Secunet. Christine Skropke, deren Leiterin Public Affairs, versprach in einer Bundestagsanhörung zu Palantir-Alternativen vor ziemlich genau einem Jahr, dass eine deutsche Allianz von Unternehmen âin sechs bis zwölf Monatenâ eine vergleichbare Lösung liefern könne. Allerdings mĂŒsse dafĂŒr eine krĂ€ftige âAnschubfinanzierungâ her.
Sie erklĂ€rte in der Anhörung 2024 auch, dass ein deutsches Konsortium âseit einem Jahr bereitsâ an einer Lösung arbeite. Sie habe den Namen âNationale souverĂ€ne Analyseplattformâ (NasA). Man sei âmit vielen Sicherheitsbehörden in GesprĂ€chenâ gewesen. Es gĂ€be einen Zeitplan, den sie auch im Bundestag prĂ€sentierte. Demnach sei in zwölf Monaten ein âTest- und Wirkbetriebâ realistisch. Allerdings mĂŒsse die âbehördliche Seiteâ daran auch mitarbeiten.
Die GrĂŒnde fĂŒr Kritik an Palantir waren zum Zeitpunkt der Bundestagsanhörung vor einem Jahr noch anders gelagert. Sie waren rechtlicher Natur und auch ganz praktisch auf den tatsĂ€chlichen Nutzen bezogen. Heute steht die AbhĂ€ngigkeit vom US-Konzern im Vordergrund.
Wir haben in den BundeslĂ€ndern nun nachgefragt, ob und welche Alternativen zu Palantir sie fĂŒr ihre 16 LĂ€nderpolizeien kennen und befĂŒrworten. Um es schon mal vorwegzunehmen: Keines der BundeslĂ€nder hat NasA auf dem Zettel.
Töten auf Basis von Metadaten
Keine Antworten, nirgends
Mecklenburg-Vorpommern als eines der BundeslĂ€nder, das sich fĂŒr eine europĂ€ische Lösung aussprach, antwortet auf die Frage von netzpolitik.org âWelche Alternativen zu Palantir kennen Sie?â: Nichts.
Man strebe in Mecklenburg-Vorpommern âkeinen eigenstĂ€ndigen Abruf aus dem Rahmenvertrag des Landes Bayern anâ, will also der Palantir-Phalanx nicht beitreten. Das Land sehe vielmehr âdie dringende Notwendigkeit, die Hoheit ĂŒber IT-Anwendungen im Sicherheitsbereich zu stĂ€rkenâ. Deswegen wird eine âzumindest europĂ€ische Lösung fĂŒr vorzugswĂŒrdigâ erachtet, die möglichst ein gemeinsames Programm von LĂ€nderpolizeien und Bundespolizei sein soll. Aber wer das liefern könnte, bleibt trotz konkreter Frage unbeantwortet.
Auch ThĂŒringen hatte sich laut BR-Bericht im Bundesrat fĂŒr den Einsatz einer europĂ€ischen Software ausgesprochen, kann aber auf die Frage von netzpolitik.org ebenfalls keine Anbieter nennen. Die ThĂŒringer Polizei prĂŒfe âden Markt fĂŒr Analyseplattformen ergebnisoffenâ. Man sei fĂŒr Informationen zur Palantir-Analysesoftware im Austausch mit anderen BundeslĂ€ndern.
Derzeit gibt es in ThĂŒringen aber keine gesetzliche Grundlage im Polizeirecht, die mĂŒsse erst geschaffen werden und den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen. Denn das Höchstgericht hatte 2023 neue Vorgaben gemacht, insbesondere mit Blick auf die genutzten polizeilichen Datenquellen, die automatisiert durchleuchtet werden dĂŒrfen.
Der Wilde Westen beim Data-Mining der Polizei ist vorbei
Auch von einem weiteren BefĂŒrworter einer europĂ€ischen Lösung gibt es keine Antwort auf die Frage, ob das Bundesland Alternativen kennt: Schleswig-Holstein. Die Landespolizei setzt keine Software von Palantir ein und plant das auch nicht. Allerdings erarbeitet das Landesinnenministerium gerade eine rechtliche ErmĂ€chtigungsgrundlage fĂŒr polizeiliche Datenanalysen zur Gefahrenabwehr.
Das Ministerium teilt gegenĂŒber netzpolitik.org mit: âErst anschlieĂend werden wir eine entsprechende Software beschaffen und einsetzen. Es gibt auch andere Anbieter als Palantir, die eine entsprechende Software zur VerfĂŒgung stellen und die Schleswig-Holstein derzeit prĂ€feriert.â Nur welche Anbieter das wĂ€ren, sagt das Ministerium nicht.
Geplant sei aber, âfachliche Bedarfe mittels einer Kombination verschiedener Produkteâ abzubilden. Nur leider könne man âaus vergaberechtlichen GrĂŒndenâ hierzu keine ânĂ€heren Angabenâ machen.
Hamburg hatte sich im Bundesrat fĂŒr eine europĂ€ische Lösung ausgesprochen und in einer schriftlich zu Protokoll gegebenen ErklĂ€rung den âausdrĂŒcklichenâ Ausschluss Palantirs vorgeschlagen. âDie derzeitige geopolitische Gesamtlageâ erfordere eine âeuropĂ€ische EigenstĂ€ndigkeit und UnabhĂ€ngigkeitâ. Eine automatisierte Datenanalyse sei âein SchlĂŒsselelement der kĂŒnftigen digitalen Sicherheitsinfrastrukturâ und mĂŒsse daher zuverlĂ€ssig verfĂŒgbar sein. Sie dĂŒrfe âkeiner strukturellen Einflussnahmemöglichkeit durch auslĂ€ndische Staaten (zum Beispiel BeeintrĂ€chtigung/Einstellung des Herstellersupports, Datenausleitungen et cetera) ausgesetztâ sein.
Allerdings kann auch Hamburg keine solchen alternativen Anbieter nennen. Die Behörde fĂŒr Inneres und Sport teilt auf Anfrage von netzpolitik.org mit, dass nicht nach der âHerstellerfirma, sondern nach den FunktionalitĂ€ten, den Kosten sowie den Belangen des Datenschutzes und der Informationssicherheitâ entschieden werde. Eine âentsprechende Softwareanwendungâ werde in âandauernden Bund-LĂ€nder-Beratungenâ beraten, die noch nicht abgeschlossen seien.
Niedersachsen hatte Hamburgs Antrag unterstĂŒtzt. Das niedersĂ€chsische Ministerium fĂŒr Inneres teilt auf Nachfrage von netzpolitik.org mit, dass aktuell keine âkonkreten Planungen fĂŒr den Einsatz der Software Palantir in der Polizeiâ bestehen. Niedersachsen habe âim Innenausschuss des Bundesrates Bedenken gegen die AusfĂŒhrungen zur ausschlieĂlichen Verwendung der Analysesoftware Palantir vorgebrachtâ. Die Frage, welches europĂ€ische Produkt das Ministerium stattdessen befĂŒrworte, bleibt aber auch hier unbeantwortet.
Das Bundesland Rheinland-Pfalz war zwar kein UnterstĂŒtzer im Bundesrat, hat aber seit letztem Monat im Polizeigesetz eine Regelung geschaffen, die zur Gefahrenabwehr eine automatisierte Datenanalyse erlauben wĂŒrde. Derzeit gebe es aber âkeine PrĂŒfung der Software des Herstellers Palantir durch die Polizei Rheinland-Pfalzâ. Man fĂŒhre eine âMarktschauâ durch. Einen konkreten Anbieter, den man ins Auge fassen wĂŒrde, nennt auch das Landesinnenministerium in Mainz nicht.
Brandenburg war auch kein Palantir-Gegner. Das Landesinnenministerium lĂ€sst auf Anfrage von netzpolitik.org wissen, dass es âaufgrund der fehlenden Rechtsgrundlagenâ im brandenburgischen Polizeigesetz keine PlĂ€ne fĂŒr den Einsatz einer Software wie Palantir oder einer europĂ€ischen Alternative gibt. Wie bei den anderen BundeslĂ€ndern lĂ€sst das Ministerium die Frage unbeantwortet, ob ĂŒberhaupt eine Alternative bekannt wĂ€re.
Das Bundesland Berlin gibt gegenĂŒber netzpolitik.org an, dass âkeine entwicklungsfertige Software, welche ĂŒber vergleichbare FunktionalitĂ€t verfĂŒgtâ, existiere. Es gĂ€be âlediglich unterschiedliche Konzeptstudien, deren Umsetzung aber noch nicht begonnenâ hat oder nicht weiterverfolgt wurde.
Dauerlösung oder nicht?
Der baden-wĂŒrttembergische Innenminister Thomas Strobl (Krawatte anthrazit) und MinisterprĂ€sident Winfried Kretschmann (Krawatte grĂŒn).
â Alle Rechte vorbehalten IMAGO / imagebrokerAnders als in den vorgenannten BundeslĂ€ndern sieht es in Baden-WĂŒrttemberg aus. Denn im LĂ€ndle setzt man seit September 2024 auf Palantir. Als Teil eines grĂŒn-schwarzen âSicherheitspaketsâ, das der baden-wĂŒrttembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) und MinisterprĂ€sident Winfried Kretschmann (GrĂŒne) prĂ€sentiert hatten, sollte VeRA bei der Polizei einziehen. âAktuell erfolgt die Integration des Systems in die bestehende IT-Infrastrukturâ, teilt das baden-wĂŒrttembergische Landesinnenministerium mit. Eine abschlieĂende Bewertung stehe noch aus.
Was die Sicherheit angeht, verlĂ€sst sich Baden-WĂŒrttemberg auf das bayerische Landeskriminalamt. Das hĂ€tte den âQuellcode der Software der Firma Palantir durch das unabhĂ€ngige Fraunhofer-Institut prĂŒfen lassenâ. Das Fraunhofer-Institut habe âDatenabflĂŒsse und Backdoors ausgeschlossenâ. Leider blieb der PrĂŒfungsbericht unter Verschluss.
Polizeigesetze
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Aktuell werde eine Rechtsgrundlage im Polizeigesetz Baden-WĂŒrttemberg zur âprĂ€ventivpolizeilichen Nutzungâ von Palantir geschaffen. Allerdings sei diese gesetzliche Basis âunabhĂ€ngig von der spĂ€ter eingesetzten Softwareâ, betont das Ministerium, und fĂŒgt an: âWir wĂŒrden gerne eine deutsche oder zumindest eine europĂ€ische Software nutzen, allerdings ist derzeit nach unserem Kenntnisstand keine entsprechende Software auf dem Markt.â
Man sichte daher âstĂ€ndig den Marktâ. Palantir ist beim baden-wĂŒrttembergischen Landesinnenministerium nicht als Dauerlösung vorgesehen: âSobald es eine gleichwertige europĂ€ische oder deutsche Alternative gibt, ist es unser Ziel, auf diese Software umzusteigen.â
Das sehen Palantir-Nutzer wie Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen ganz anders. Hessen gibt gegenĂŒber netzpolitik.org an, dass bei den Vergabeverfahren der hessischen Palantir-Variante hessenDATA in den Jahren 2017, 2019 und 2021 âkein gleich geeigneter Anbieter identifiziert werdenâ konnte. Bayern erklĂ€rte gegenĂŒber dem BR, dass der Freistaat die Situation so einschĂ€tze, dass âauch in absehbarer Zeit kein deutsches â respektive europĂ€isches â Unternehmen bzw. Konsortium in der Lage sein wird, ein konkurrenzfĂ€higes Produkt anzubietenâ. Das Versprechen von Secunet und der alternativen Lösung NasA vor einem Jahr im Bundestag scheint dort nicht ernst genommen zu werden.
Man ist in den drei BundeslĂ€ndern offenbar zufrieden und sieht Palantir als Dauerlösung vor. Nordrhein-Westfalen teilt auf Nachfrage von netzpolitik.org mit: Der âEinsatz einer alternativen Software wird [âŠ] nicht geprĂŒftâ. Denn die Nutzung und âautarke Anwendung in eigenen Rechenzentrenâ der Polizei Nordrhein-Westfalen habe sich âbewĂ€hrtâ. Es bestehe âkeine Möglichkeit fĂŒr einen Zugriff auf Polizeidaten durch [âŠ] Palantirâ.
Ein befĂŒrchteter Zugriff ist aber nur ein kleiner Teil des Problems: Die Zusammenarbeit mit dem US-Konzern ermöglicht ja erst die Analyse und Rasterfahndung in den Polizeidaten. Und das Bundesverfassungsgericht wird auch noch ein Wörtchen mitzureden haben, denn fĂŒr die Polizeigesetze in Hessen und Nordrhein-Westfalen stehen neue höchstrichterliche Entscheidungen noch aus.
Die Angaben aus Hessen und Berlin sind um 17.01 Uhr nachgetragen worden.
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Author: Constanze
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