Auszüge aus den Reiseberichten des berühmten Feinschmeckers, Diebs und Schwertkämpfers Sirdan von Zanth. Mehr über ihn findest Du unter Figuren. Seine Abenteuer beginnen hier.
Wie sich meine ergebene Leserinnenschaft erinnern mag, begann sich unsere Reise in eine erfreuliche Richtung zu entwickeln, vor allem nachdem wir nach dem eisigen L’Haan das noch viel kältere Narandu durchwandert hatten: Es ging in Richtung Süden! Die weiße Hexe, L’Harin, hatte von ihrem Gott Boreans die Position des havarierten Windschiffs in einer Vision erfahren und angeblich wusste sie den Weg ganz genau. Zwischen uns und unserem Ziel befanden sich zum allgemeinen Leidwesen gleich zwei hohe Gebirgszüge.
Glücklicherweise hatten wir uns im Laufe der Zeit mit den Kristallmottensammlern angefreundet – oder sie waren bestrebt, uns zum Schweigen über ihre sicherlich legalen Geschäfte zu bewegen, oder L’harin hat es ihnen befohlen – mir war das einerlei.
Wir mussten das Gebirge nicht besteigen, sondern ein enormer Wurm würde einen Tunnel für uns graben, angeleitet von seinem Führer, der das träge Tier mit einem Geschirr kontrollierte. Das Biest erzeugte knirschende Geräusche, als es sich im Schritttempo durch den Untergrund nagte. Der Gedanke daran, wie sich das an den Zähnen anfühlen musste, war mir ein wenig unbehaglich, aber am Ende war ich dankbar, nicht die landschaftlichen Reize der Berglandschaft zu genießen, sondern einen bequemen Tunnel ohne jeglichen Schneesturm zu durchschreiten. Ich habe bis heute nicht erfahren, welcher Spezies dieses Wurmwesen angehört. Es hinterließ ein geruchloses Sekret im frisch genagten Tunnel, das nach einer Stunde zu einer festen Form aushärtete. Damals habe ich nicht gefragt, was es damit auf sich hatte. Diesen Fehler hätte ich heute nicht wiederholt.
Wir machten Rast, wenn unsere Beine müde wurden, unser Zeitgefühl verlor sich in der Finsternis schnell, jedenfalls galt das für mich und die Mirin, für den Callidier und den Arianer konnte ich nichts dergleichen feststellen, aber die verschlossenen Gelehrten zu deuten fiel mir damals schwer. Der Wurm brauchte keinen Schlaf, sein Wärter schien sich in der Hinsicht nicht zu unterscheiden. Bei jedem Aufwachen erwartete uns ein frischer Tunnel, der uns weiter in die Finsternis führte.
Nach einer sehr, sehr, sehr langen Zeit – die aber wohl nur zwei Rasten umfasste – sahen wir endlich Tageslicht vor uns und… den nächsten Bergkamm. Wir würden ab hier auf der Oberfläche weiterwandern und verabschiedeten uns bei Wurm und Wärter. Für einen Moment konnte ich die Vorderseite des Wurms sehen und wurde seiner enormen Nagewerkzeuge gewahr, dann verschwand er wieder unter der Erdoberfläche. Der Tunnel schloss sich hinter ihm.
Die eisigen Winde schlugen mir aufs Nachdrücklichste ins Gesicht, wie um die letzten Tage ohne Frieren wiedergutzumachen. Ich schauderte.
L’harin konnte uns den Weg weisen, sie war allerdings ganz und gar nicht bereit, sicherere Routen abweichend von der ihres Gottes zuzulassen. Mit ihr Diskussionen über die Genauigkeit von Boreans Visionen zu führen hatte sich in der Vergangenheit als frustrierend fruchtlos erwiesen. Für mich waren das wohlwollende Vorschläge, aber um ehrlich zu sein, sind wir es in Zanth nicht gewohnt, dass die 10000 uns Eingebungen liefern.
Da ein paar von uns nicht trittsicher waren wie Merin oder ich, seilten wir einander an.
Im Laufe der Wanderung kamen wir überein, dass jemand vorab die Strecke auskundschaften sollte und am Besten konnte das unser Kundschafter Merin tun, oder? Oh, ich ahnte ja nicht wie gut er geeignet war! Er warf L’amer einen Blick zu und danach seine Kleidung, was mich durchaus ein wenig überraschte. Er verschwand um die nächste Wegbiegung und L’amer gebot uns zu warten. Nicht lange darauf lief ein kleiner, struppiger Wolf auf uns zu und ließ sich von L’amer das zottige Fell kraulen. Ein Blick genügte: Das war Merin und eindeutig war L’amer nicht vom Blut her seine große Schwester, sondern ihre Zuneigung war anderer Natur. Ich lernte später, dass er ein Manra aus den Dschungeln von Chana war, weit weg von seiner Heimat. Ein Gestaltwandler. Seine wahre Gestalt lernte ich erst viel später kennen, aber ich wusste schon jetzt, dass es einiges an Vertrauen bedeutete, uns sein Geheimnis zu offenbaren. Seine scharfen Sinne halfen uns sehr bei der Überquerung des Gebirgskamms in den folgenden kalten, aber ereignisarmen Tagen.
Eines Nachmittags kam während des Abstiegs ein Plateau in Sichtweite, das sich perfekt für das Nachtlager eignen würde. Spuren früherer Feuerstellen waren von Weitem zu sehen und im Fels ein dunkler Höhleneingang.
Merin-Wolf ging voran und witterte. Dann kam er zurück und stellte sich uns in den Weg, winselnd. Später berichtete er uns, dass er einen starken Raubtiergeruch gerochen habe und dann war da noch ein unbestimmtes, aber dafür um so stärkeres unwohles Gefühl.
L’harin weigerte sich standhaft, einen anderen Weg zu wählen. Wir bissen die Zähne zusammen, verfluchten den Starrsinn der Hexe, zogen die Waffen und wagten uns vor. Nichts fiel uns aus dem Schatten heraus an, die Nackenhaare von Merin-Wolf stellten sich dennoch auf. Dann hörten wir die Stimme aus der Finsternis, leise und triefend vor öliger Niedertracht.
„Nahrung!“ wisperte die Stimme.
Wir konnten unseren Gegenüber nicht genau erkennen, da war nachtschwarz glänzende glatte Haut, die sich über sehnige Muskeln spannte und Maul voller rasiermesserscharfer Zähne, von denen schleimiger Speichel troff. Augen fand ich keine, aber es konnte uns nur zu gut sehen. Ich spürte, wie es uns zu mustern schien.
„Wartet, bis es dunkel ist. Dann werde ich euch holen.“
Es folgte ein Geräusch wie zischendes Lachen, dann verschwand es im Tunnel.
Damit verschwand das Wesen im Dunkel. Die anderen hielten mich zurück, als ich gleich nachsetzen wollte. Calidus verriet, dass die Tunnelsysteme unter diesen Bergen sehr tief sein sollen, aber er wusste auch, dass das Wesen ein Einzelgänger sein sollte oder höchstens in kleine Gruppen auftrat. Es war ein Malathrope, eine künstliche Art gezüchtet zur Jagd. Ihr Speichel war giftig und versetzte ihre Opfer in unbändige Furcht.
Gegen meinen Willen entschied sich die Gruppe hier das Lager aufzuschlagen und das Feuer vor dem Höhleneingang zu entfachen. Ich wusste, dass es andere Ausgänge geben musste, aber auf mehr ließen sie sich nicht ein. Wenn niemand Schlaf riskieren konnte, dann hätten wir auch die Nacht durchmarschieren können, wenn ihr mich fragt.
Der Angriff kam von oben.
Merin-Wolf versuchte auszuweichen, aber der Malathrope stürzte sich gefeirnd auf ihn und verbiss sich in seine Schulter. Merin schrie panisch auf, erstarrt vor Angst, aber er alarmierte auf diese Weise den Rest und wir stellten uns der Jägerzüchtung. Das Wesen war gewandt und äußerst schnell, und selbst ich steckte einige Kratzer ein, aber ich schaffte es, dem gefährlicheren Biss zu entgehen. L’Harin versuchte ihre Magie einzusetzen, aber ein Zauber blieb ohne Wirkung und als sie ihre Lichtlanze versuchen wollte, verschwand sie in einem Lichtblitz. Es blieb nichts von ihr zurück. Ich unterdrückte ein paar ausgesuchte Flüche.
Die Tapferkeit der Alchimistin werde ich niemals in Zweifel ziehen, aber L’amer war ohne ihre Pulver und Mittelchen glücklos im Kampf und schaffe es beinahe, ihren Speer in den Abgrund fallen zu lassen.
Ohne Calidus und Tharlin wären wir verloren gewesen, daran kann es keine Zweifel geben. Der eine zeichnete mit den Fingern Schutzrunen auf unsere Kleidung, der andere schien dem Malathrope unsichtbare Schläge zu versetzen. Wir ließen eine Menge Blut auf dem Plateau, aber am Ende fand ich die entscheidende Lücke in der Ausweichmanövern unseres Gegners und stieß im die schlanke Klinge direkt in den Schlund. Mit einem Laut wie einem verächtlichen Lachen starb die Kreatur auf meinem Schwert.
Mit einem Blitz erschien L’Harin dort, wo sie wenige Augenblicke zuvor verschwunden war. Sie schien peinlich berührt und wir vermieden tunlich, auf mögliche Fehlbarkeiten der stolzen Hexe anzuspielen.
Wir hatten genug mit unseren Wunden zu tun und verloren nicht mehr viele Worte, bevor wir uns zur Nacht legten.
Tief unter uns sahen wir eine dichte Nebeldecke, der Schnee machte nacktem grauen Fels Platz, auf dem nicht mehr als Flechten und Moose wuchsen.
Das waren die Schattenlande. Ein Reich von Teufeln und Dämonen – „und Schlimmerem“, ergänzte Calidus, der uns dringend riet, hier nicht lange zu verweilen.
Unter dem Nebel machten die Schattenlande ihrem Namen alle Ehre. Wir wurden nach nur wenigen Stunden Zeugen eines rätselhaften Rituals in einem Steinkreis. Unsere Gelehrten schienen überzeugt, dass an diesem Ort Blutopfer stattgefunden hatten, aber mehr konnten sie nicht erklären.
Dies war ein übler Ort.
→ Fortsetzung folgt
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