Ein unmoralisches Angebot aus Mannheim
Neulich wurde mir via Mail eine «Content-Kooperation» angeboten. Das kommt mehrmals pro Woche vor. Was diesen Fall bemerkenswert macht, ist die Tatsache, dass nicht um den heissen Brei herumgeredet wird sowie die Tatsache, dass das Mail eine Absenderadresse aus Deutschland aufweist.
Die Absenderin des Mails ist Marketing-Managerin Paula. Sie macht keinen Hehl aus dem Grund für ihr Kooperationsangebot:
Als Agentur betreuen wir viele Webseiten und helfen deren Betreibern dabei, in Suchmaschinen besser platziert zu werden. Wir platzieren also einen Link in dem Artikel, um die Sichtbarkeit einer anderen Website zu stärken.
Sie nennt die Themenbereiche, die abgedeckt werden sollen:
Hat jemand «attraktive Bezahlung» gesagt?Akzeptieren Sie Themen im Bereich CBD, Crypto, Gambling, Erotik oder Tabak?
Abschliessend legt sie die Rahmenbedingungen dar:
Wird der Artikel auf Ihrer Website als Werbung gekennzeichnet? Es ist uns sehr wichtig, dass der Artikel nicht als Werbung gekennzeichnet wird. Ist die Verlinkung in dem Artikel Dofollow oder Nofollow? Wir würden Dofollow präferieren.
Damit sind wir beim springenden Punkt. Ich bin zwar kein Jurist, aber wenn ich nichts Grundlegendes missverstanden habe, ist undeklarierte Werbung nach deutschem Recht verboten und nach Schweizer Recht ebenso. Darum heisst die Rubrik, in der ich solche Fälle hier im Blog dokumentiere, Bestechungsversuch. Im strikten Sinn wäre vermutlich der Begriff «unlautere Werbung» passender¹. Aber was mein persönliches Gefühl angeht, habe ich dezidiert den Eindruck, dass man mich bestechen will, etwas Ungehöriges zu tun.
Also: Ich bin mir solche Angebote gewohnt: Häufig will jemand gegen Geld Links oder auch ganze Artikel hier im Blog unterbringen. Doch normalerweise kommen derlei Mails nicht aus Deutschland, sondern aus Ländern mit laxeren Gesetzen.
Wer steckt hinter dieser Sache?
Doch es wird noch dubioser: Die Absenderadresse liefert keinen einzigen Google-Treffer². Ich finde nichts über das fragliche Unternehmen heraus. Archive.org hat die Adresse zweimal gecrawlt, aber bloss mit einem Redirect, der zur Website eines grossen SEO-Unternehmen aus Mannheim führt. Das platziert ebenfalls solche Gastbeiträge in Medien. Doch die sind als Anzeige gekennzeichnet³.
Diese Weiterleitung wirkt auf mich undurchsichtig. Denn bekanntlich sind im HTTP-Redirects möglich, ohne dass der Betreiber der Ziel-Domain sein Einverständnis gibt oder von der Weiterleitung überhaupt weiss. Ich habe mir darum den Kopf darüber zerbrochen, was dahinterstecken könnte. Denn entweder stammen beide Domains vom gleichen Betreiber. Oder aber der Betreiber der weiterleitenden Domain will bloss den Eindruck erwecken, es bestehe eine Verbindung zum Betreiber der zweiten Domain. Der Zweck könnte z.B. sein, letzteren in ein schlechtes Licht zu rücken.
Um Klarheit zu schaffen, stelle ich eine Anfrage an den zweiten Betreiber und frage nach. Entgegen meiner Erwartung schreibt Samantha vom Support prompt zurück:
100 Euro für den bezahlten Artikel, der nicht als solcher ausgewiesen wird.Es handelt sich um unsere Schwestergesellschaft. Da deren Website temporär offline ist, existiert aktuell die Weiterleitung. Meine Kollegin Paula freut sich schon auf dein Feedback.
100 Euro, der Mindestlohn
Also, zurück zu Paula: Wie hoch wäre denn die Kompensation für einen solchen Gastbeitrag? Ich stelle die Frage routinemässig, wenn jemand hier im Blog Gastbeiträge unterbringen will. Normalerweise gibt es darauf keine Antwort. Diese Frage ist meistens sogar ein effektives Mittel, die Kommunikation sofort zu beenden⁴.
Doch dieses Mal kommt – zu meiner Verblüffung – eine Antwort:
Wir könnten Ihnen hundert Euro für jeden allgemeinen Beitrag anbieten, den wir in Absprache mit Ihnen erstellen, für eine lebenslange Platzierung, keine Markierungen und dofollow Verlinkung.
Das ist anscheinend kein Zufall. Der Chef des Unternehmens, Nikita Yatsun, erklärt in einem Blogpost sogar ausführlich, was hinter dem Geschäft des Backlink-Kaufs steckt. Hier steht, dass ein Link von «niedriger Qualität» ab 99 Euro zu haben ist. Das heisst, dass Paula mir das Einsteiger-Angebot unterbreitet, was meinen Blog gleichzeitig als «niedrige Qualität» ausweist. Mit anderen Worten: Wenn ich auf dieses Angebot eingehen würde, dann würde ich meine Reputation für den Mindestlohn riskieren.
Damit weiss ich, was Paula von meinem Blog hält.Ein springender Punkt kommt im Blogpost nicht zur Sprache. Nämlich der Punkt, dass es hier nicht bloss um einen Link, sondern um einen ganzen Artikel «ohne Markierung» – also ohne Hinweis auf den zugrundeliegenden «Deal» – geht. Keine Frage, dass das nicht mit meinen Ansprüchen an dieses Blog hier vereinbar ist. Ich frage also vorsichtig zurück:
Wie sieht es mit der rechtlichen Situation aus? So weit ich weiss, verbietet das Gesetz sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland nicht gekennzeichnete Werbung (Schleichwerbung). Aber genau darum würde es sich doch handeln, oder? Oder was übersehe ich?
Paula hat mir auf diese Frage keine Antwort gegeben. Nicht nur das – am Ende sind sogar meine Mails nicht mehr bei ihr angekommen: «User Unknown». Eine Spekulation, woran das liegen könnte, gebe ich am Ende.
Name them, shame them?
Die Frage liegt nun auf der Hand: Soll ich die Namen des Unternehmens aus Mannheim und dessen Schwestergesellschaft hier im Blog nennen? Mir ist der Entscheid nicht leichtgefallen, denn eine anklagende Berichterstattung sprengt eigentlich den Rahmen eines Posts hier im Blog.
Ich tue es dennoch: Ich halte es für meinen Auftrag, Transparenz zu schaffen. Internetkonsumentinnen und Konsumenten müssen wissen, dass solche Deals stattfinden. Da ich mich nicht darauf einlasse, kann ich nicht beurteilen, was im «Gastbeitrag» konkret gestanden wäre. Wäre er werblicher Natur gewesen? Oder vielleicht tatsächlich informativ, unterhaltsam und eine Bereicherung für euch und mich? Egal, wie die Antwort lautet, es wäre eine Täuschung gewesen: Meine Leserinnen und Leser erwarten zu Recht, dass ich hier offen, ehrlich und transparent berichte und nur meinem Gewissen verpflichtet bin – auch wenn Clickomania.ch «nur» ein Blog und kein etabliertes Presseerzeugnis ist.
Trust, oder zu Deutsch: Vertrauen
Denn es geht um Vertrauen. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass das Unternehmen, um das es hier geht, trustfactory.de heisst: Vertrauen steht im Zentrum der Aktivitäten der «Google-Champions aus Mannheim».
Aber leider hat die ganze, hier dokumentierte Interaktion mein Vertrauen nicht verstärkt, sondern untergraben. Problematisch sind die folgenden Punkte:
- Warum erhalte ich das Angebot nicht direkt von Trustfactory, sondern von dem Schwesterunternehmen wunderpublish.de?
- Die zum Schwesterunternehmen gehörende Website wunderpublish.de war entgegen Samanthas Behauptung nicht temporär offline, sondern gemäss Archive.org schon immer nur für den Redirect zu trustfactory.de zuständig.
- Inzwischen leitet wunderpublish.de nicht mehr auf trustfactory.de um, sondern auf wunderwert.com.
- Schliesslich die entscheidende Frage: Geht es um Schleichwerbung oder nicht? Ich habe mehrere konkrete Anfragen gestellt, die allesamt unbeantwortet blieben. Ich habe auch eine Stellungnahme eingefordert, in der ich die Publikation der Vorwürfe in diesem Blogpost in Aussicht stellte und um Aufklärung gebeten bat⁵.
Vertrauensbildung sieht anders aus. Wozu das Verwirrspiel mit den Domains? Bei einem Geschäft, bei dem mit offenen Karten gespielt wird, bräuchte es das nicht. Es gäbe auch keinen Grund, meine Anfragen zu ignorieren und sogar Paulas Mailadresse abzuschalten – denn wie erwähnt, war sie für meine Fragen letzte Woche nicht mehr erreichbar.
Am Ende bleibt Lorem Ipsum
Am Ende dieser Angelegenheit, mit der ich mich seit sechs Wochen herumgeschlagen habe, scheint tatsächlich so zu sein, dass die Verbindung zwischen wunderpublish.de und trustfactory.de gekappt worden ist.
Wie erwähnt, kommt nun neu wunderwert.com ist Spiel. Ist das eine Folge meiner Anfragen? Hat das damit zu tun, dass Trustfactory die Praktiken von Wunderpublish.de zu heiss geworden sind? Beweise habe ich für diese Vermutungen keine. Falls es anders ist, freue ich mich über eine entsprechende Mitteilung und werde hier im Blog Aufklärung leisten.
Bis mir Trustfactory diesen Sachverhalt überzeugend darlegt, halte ich allerdings meine These aufrecht, dass eine Verschleierung vollzogen wird. Abschliessendes Indiz dafür: Das Impressum der eben erst aufgetauchten Website wunderwert.com, das uns nicht über den Betreiber, sondern über die Herkunft des Lorem-Ipsum-Fülltextes aufklärt⁶.
Kein Impressum im eigentlichen Sinn.Fussnoten
1) Ist die Bezeichnung «Bestechungsversuch» gerechtfertigt für Angebote, gegen ein Entgelt einen «Gastbeitrag» zu publizieren, der nicht als Werbung gekennzeichnet ist? Persönlich empfinde ich das so, weil ich dazu verleitet werden soll, meine ethischen Grundsätze zu verletzen. Streng juristisch passt der Begriff womöglich nicht, da ich kein Beamter bzw. Staatsbediensteter bin, der von Amtes wegen etwas tun sollte, das er eigentlich nicht tun darf. ChatGPT beurteilt meine Wortwahl wie folgt:
Juristisch betrachtet handelt es sich dabei um unlautere Werbung und möglicherweise um einen Verstoss gegen das Lauterkeitsrecht (z. B. das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, in der Schweiz). Wenn dir jemand Geld oder andere Vorteile anbietet, damit du ein Produkt oder eine Dienstleistung positiv darstellst, ohne dies als Werbung zu kennzeichnen, liegt eine Täuschung der Leserschaft vor.
Ob das strafrechtlich als Bestechung gilt, hängt vom Kontext ab:
- Im privaten Bereich (also z. B. als Blogger) spricht man nicht von klassischer «Bestechung» im strafrechtlichen Sinn, wie sie z. B. bei Amtsträgern oder Angestellten eines Unternehmens vorkommt.
- Aber: Wenn du dich bereitwillig kaufen lässt, um dein Publikum in die Irre zu führen, könnte man umgangssprachlich sehr wohl von Bestechung sprechen – und juristisch könnte man dich wegen Täuschung, Irreführung der Konsumenten oder Verstoss gegen Transparenzpflichten belangen.
In der Schweiz ist gemäss der «Publizitätsregel» der Lauterkeitskommission klar: Werbung muss als solche erkennbar sein – insbesondere dann, wenn redaktionelle Inhalte gegen Entgelt oder andere Gegenleistungen veröffentlicht werden. ↩
2) Es gibt einen, aber der verweist auf einen digitalisierten Zeitungsartikel von 1899 und darf an dieser Stelle ignoriert werden. Auf alle Fälle ist es unmöglich, dass ein Unternehmen, das von sich behauptet, «Kontakt zu vielen tausend Websitebetreibern» zu pflegen, kein einziges Mal im Web erwähnt wird. ↩
3) Beispielsweise bei der «Berliner Morgenpost», im «Handelsblatt», den «Westfälischen Nachrichten» und in der «Esslinger Zeitung». (Man könnte kritisieren, dass der Hinweis «Anzeige» so klein ist, dass kaum jemand ihn zur Kenntnis nehmen dürfte – aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen.) ↩
4) Für mich ist das weiteres Anzeichen dafür, dass wir uns in einem Graubereich bewegen. Es existieren in diesem Geschäft keine ordentlichen Tarife, und es gibt keine offene Verhandlungsgrundlage. Stattdessen erfolgt dieses Spiel nach folgendem Prinzip: Wer zuerst blinzelt, hat verloren.
Denn:
- Für Empfänger eines solchen Deals ist es nicht möglich abzuschätzen, welches das übliche Honorar für einen «Gastbeitrag» ist. Daher ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie zu tief einsteigen oder aus Hoffnung auf weitere «Deals» erst einmal gratis mitmachen.
- Es ist anzunehmen, dass die effektiven Tarife viel tiefer sind als das, was man vernünftigerweise verlangen will. Darum ist es einfacher, den Empfänger selbst ein Angebot machen zu lassen und ihn dann runterzuhandeln, als ihn mit einer niedrigen Zahl zu verschrecken.
- Es könnte auch darum gehen, keine Spuren zu hinterlassen. Ich vermute, dass die eigentlichen Verhandlungen fernmündlich stattfinden.
- Es handelt sich um ein Massengeschäft, bei dem es schnell gehen muss. Naivlinge, die erst einmal aufgeklärt werden müssen, sind der Mühe nicht wert.
- Schliesslich dürfte die Erfahrung zeigen, dass Leute wie ich, die erst einmal Fragen stellen, meist keine ernsthafte Absicht haben, mitzumachen. ↩
5) Erstens fragte ich Paula mehrfach nach den offensichtlichen Risiken. Zweitens bat ich, wie es bei solchen Vorwürfen gute Sitte ist, direkt um eine Stellungnahme, mit dem Hinweis, dass ich darüber bloggen will. Ich schickte meine Fragen zur Legalität von undeklarierter Werbung nicht nur an Paula, sondern via Supportadresse auch an Samantha, und ich unternahm den Versuch, den Chef des Unternehmens, Nikita Yatsun, über Instagram zu erreichen. Auf keine dieser Anfragen erhielt ich eine Antwort. ↩
6) Trotz des fehlenden Impressums gibt es Anzeichen dafür, dass es Wunderwert.com schon mindestens seit 2020 gibt (vermutlich seit 2018). Auf webloggerforum.de findet sich die Diskussion zu einer Anfrage, die im Wortlaut sehr ähnlich mit der ist, die ich erhalten habe. Gemäss diesem Post wird die Website von TF Operations aus Larnaca, Zypern betrieben. Steht TF für Trustfactory? Die Frage wird an dieser Stelle wohl erlaubt sein. ↩
Beitragsbild: Seltsame Fernmelde-Signale in meiner Inbox – mutmasslich nicht von diesem Turm und entgegen der Behauptung im Titel auch nicht aus Mannheim. (Elias Tigiser, Pexels-Lizenz).