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Stromausfall in Spanien â Eine Analyse
Solarenergie kommt als Gleichstrom aus den Solarpanels. Das bedeutet, sie muss in Wechselstrom umgewandelt werden. Diese Aufgabe ĂŒbernimmt ein sogenannter Inverter.
Inverter mĂŒssen sich dabei auf das Stromnetz aufsynchronisieren, das heiĂt, sie erzeugen exakt die Frequenz, die das Netz vorgibt. Gibt es kein externes Netz, ist das nicht möglich â die Inverter wechseln dann in den sogenannten Inselmodus und erzeugen Strom nur fĂŒr den lokalen Gebrauch. Wenn meine PV-Anlage beispielsweise keinen Netzstrom hat, kann sie das Haus nicht versorgen, aber Strom ĂŒber zwei Notstrom-Steckdosen bereitstellen.
Die Frequenz im Netz betrĂ€gt in der Regel 50 Hertz. Diese schwankt jedoch â mal etwas mehr, mal weniger. Aus physikalisch-technischen GrĂŒnden steigt die Frequenz, wenn zu viel Strom das ist, also zu wenig Strom verbraucht wird, und sinkt, wenn zu viel verbraucht wird.
Um das Netz zu schĂŒtzen, verfĂŒgen Inverter ĂŒber einen Notabschalt-Mechanismus: Steigt die Frequenz ĂŒber eine festgelegte Grenze (meines Wissens bei 50,2 Hertz), wechseln sie ebenfalls in den Inselmodus.
Der spanische Energiemix ist ungewöhnlich: viel Kernenergie und viel erneuerbare Energie. Ein GroĂteil der erneuerbaren Energie stammt wiederum aus der Solarenergie â logisch bei dem Klima.
Kernenergie hat zwei wesentliche Eigenschaften: Zum einen sind Lastwechsel nur sehr langsam möglich, zum anderen produziert ein Kernkraftwerk auch bei Teillast nahezu dieselben Kosten wie bei Volllast. Das bedeutet, man möchte diese Kraftwerke möglichst konstant mit voller Leistung betreiben.
Am Montag ergab sich nun eine besondere Situation: viel Sonne, guter Wind. Schon ab 9 Uhr konnte der gesamte Energiebedarf Spaniens durch Kern- und erneuerbare Energien gedeckt werden. Es wurde sogar mehr Strom erzeugt als benötigt, sodass man begann, so viel wie möglich zu exportieren. Alles, was sich einfach abschalten lieĂ, wurde abgeschaltet â aber die Kernkraftwerke wollte man aus den oben genannten GrĂŒnden nicht drosseln.
Dann geschahen zwei Dinge: Eine Leitung nach Frankreich fiel aufgrund eines Feuers aus, und auf einer anderen Leitung kam es wetterbedingt zu Resonanzen.
Bis hierhin ist das alles belegbar â nun folgt die Spekulation:
Diese InstabilitĂ€ten fĂŒhrten dazu, dass der Strom nicht mehr ausreichend abfloss. Die Frequenz im Netz stieg an â und ĂŒberschritt die kritische Grenze von 50,2 Hz. Viele Solaranlagen schalteten deshalb in den Inselmodus. Zu diesem Zeitpunkt machten sie fast 15 GW Leistung aus, knapp 60 % der Gesamtenergie â und waren schlagartig weg.
Plötzlich fehlten zwei Drittel der Energie. Weder Windkraft noch Kernenergie oder Speicher konnten das auffangen â im Gegenteil. Um SchĂ€den zu vermeiden, gingen auch die Kernkraftwerke in eine Notabschaltung. Das ist besonders problematisch â dazu spĂ€ter mehr. Innerhalb von Sekunden brach das gesamte Netz zusammen. Die Solaranlagen waren bereit, konnten sich aber auf kein Netz mehr synchronisieren.
Alles war dunkel. Auch Portugal und SĂŒdfrankreich wurden vom Netz genommen, da sie bis dahin vom spanischen Export profitiert hatten. Das europĂ€ische Stromnetz reagierte und warf Spanien aus dem Verbund. In SĂŒdfrankreich konnte das Netz dank eigener ReservekapazitĂ€ten und Hilfe anderer LĂ€nder schnell wiederhergestellt werden. In meiner Heimautomatisierung konnte ich beobachten, wie die Frequenz dort kurz abfiel, bevor die eigene Leistung hochgeregelt wurde.
Portugal traf es hĂ€rter: Das Land verfĂŒgt nicht ĂŒber die Reserven Frankreichs und ist zudem deutlich kleiner. Von auĂen konnte niemand helfen â Spanien ist der einzige Nachbar.
Neustart des Netzes â warum das so schwierig ist
Ein solches Netz wieder hochzufahren ist kompliziert â aus zwei GrĂŒnden:
- Erzeugung und Verbrauch mĂŒssen stets im Gleichgewicht bleiben. Andernfalls droht erneut ein Zusammenbruch.
- Kernkraftwerke lassen sich nicht sofort wieder hochfahren. Nach einer Abschaltung leiden sie unter anderem an einer sogenannten Xenonvergiftung (eines der Probleme beim Reaktorunfall von Tschernobyl), die erst abgebaut werden muss. Deshalb sind sie auch zwei Tage spÀter noch offline.
Die Lösung besteht darin, das groĂe Netz in viele kleine Abschnitte zu unterteilen. FĂŒr jedes Teilnetz wird zuerst KapazitĂ€t aufgebaut, dann wird es ans Netz genommen â und so weiter. Das dauert Stunden. In der Zwischenzeit zieht die Sonne weiter, und selbst wenn die Solaranlagen wieder ans Netz angeschlossen werden, liefern sie lĂ€ngst nicht mehr so viel wie zuvor â und ab etwa 20 Uhr gar keinen Strom mehr.
Spanien brauchte also Hilfe aus dem Ausland. Man verband das Land schrittweise wieder mit dem europĂ€ischen Netz â zunĂ€chst nur mit kleinen Teilregionen. Ohne diese Hilfe wĂ€re Spanien vermutlich noch immer ohne Strom. Der Strom kam daher zuerst in grenznahen Regionen wie Barcelona zurĂŒck, wĂ€hrend Portugal am lĂ€ngsten unter dem Ausfall litt.
Anmerkungen
- FĂŒr die GröĂe des Incidents war die Behebung insgesamt schneller als ich erwartet hatte. In San Sebastian war nach 2h wieder Strom (zum Vergleich: Es gab in Wismar und Umgebung letztes Jahr 45min Stromausfall, weil ein Umspannwerk gewackelt hatte) und nach 23h in Portugal. Ich hatte mit 1-2 Tagem gerechnet.
- Es war der gröĂte Stromausfall in Europa seit 40 Jahren. Wenn die Annahme stimmt, dass er durch Klima-Ereignisse mit ausgelöst wurde, ist eine Modernisierung des gesamten Stromnetzes fĂŒr besseren Umgang mit Schwankungen unumgĂ€nglich. Dazu gehört auch die geforderte EinfĂŒhrung von Stromzonen in Deutschland.