Ein Tag für Süd-Süd
Donald Trump hat das Entwicklungshilfeprogramm USAID gestrichen. Die Leistungen der USA an die Dritte Welt sinken von 64,7 Mrd. $ (2023) auf 28,4 Mrd. (2026). Auch Deutschland kürzt, zum Entsetzen der Entwicklungsorganisationen: statt 37,9 Mrd. (2023) gibt es nur noch 27,8 Mrd. (2026). Die anderen Industriestaaten verfahren ähnlich. Der Gesamtbetrag der Leistungen an die Dritte Welt sinkt von 213,1 Mrd. $ (2023) auf 151,6 Mrd. (2026).
Der Trend zum Eigennutz wirkt sich also vor allem zulasten der ärmsten Völker der Welt aus. Das führt zu der Frage: Kann die reduzierte Nord-Süd-Unterstützung durch eine stärkere Süd-Süd-Kooperation ersetzt oder zumindest gemindert werden? Schon seit langem bestehen Überlegungen und Bestrebungen, diesen Weg zu verfolgen. So wird seit 2003 jeweils am 12. September der Tag für die Süd-Süd-Zusammenarbeit begangen. Offen bleibt jedoch, ob solche Resolutionen, Aktionen und Planungen tatsächlich etwas bewirken oder ob sie sich – wie beim jüngsten Gipfeltreffen der ‘Schanghai Organisation für Zusammenarbeit’ – eher auf vollmundige Ankündigungen beschränken.
Der Süd-Süd-Tag der Vereinten Nationen soll ein Anstoß sein, die Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern zu fördern. Er geht zurück auf eine Konferenz 2001 in Brüssel, auf der dieses Ziel ein zentrales Thema war. In den Sektoren Gesundheit, Bildung, Umweltschutz, Wissenschaft, Technologie und Handel sollten Waren- und Wissensaustausch intensiviert werden. Das Datum erinnert an den 12. September 1978, als der ‘Buenos Aires Plan of Action for Promoting and Implementing Technical Cooperation among Developing Countries’ verabschiedet wurde. Dieser Plan bildete die Grundlage für Aktionen der Süd-Süd-Zusammerbeit. Weltweit finden an diesem Tag Veranstaltungen statt, die sich mit dieser Thematik befassen und dafür werben.
Süd-Süd-Kooperation ist kein verbindliches oder institutionalisiertes Organ. Sie bezeichnet die Beziehungen und die wirtschaftliche Zusammerabeit zwischen den Ländern des globalen Südens, den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern. Ziel ist es, durch Verbesserung und Intensivierung der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen den Entwicklungsrückstand gegenüber den Industriestaaten zu verringern und die Abhängigkeiten abzubauen, die oft noch aus Kolonial- und Imperialismuszeiten herrühren.
Als Grundsätze der Süd-Süd-Kooperation werden im allgemeinen folgende Punkte gesehen: Nutzung und Teilung der gemeinsamen Erfahrungen und Ziele; gegenseitiger Respekt der staatlichen Souveränität; Partnerschaft zwischen gleichberechtigten Ländern; gemeinsame Unternehmungen von Staaten des Südens; gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft meistern; gleichmäßige Nutzung der Vorteile der Zusammenarbeit; keine Vorgabe von Bedingungen; keine Einmischung von kooperierenden Staaten.
Als Meilenstein der Süd-Süd-Kooperation wird die Bandung-Konferenz von 1955 angesehen, als sich 29 asiatische und afrikanische Staaten ohne Beteiligung ehemaliger Kolonialmächte trafen, um ihre Interessen abzustecken und die Entkolonialisierungsbestrebungen zu fördern. Erste Ergebnisse waren u.a. die Bewegung der Blockfreien Staaten (gegründet 1961), die OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries, 1960) oder die Gruppe der 77 (Zusammenschluss von Staaten des Globalen Südens innerhalb der UNO, 1964). Im Jahre 1978 gründeten die Vereinten Nationen das Office for South-South-Cooperation (UNOSSC), um den Süd-Süd-Handel durch Aktivitäten der UN-Organe zu fördern. UNOSSC ist eine Art Wissenszentrum, das allen Beteiligten Beratungsdienste im Bereich Süd-Süd- und Dreieckskooperation anbietet.
Ziel aller dieser Akvitäten waren eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, eine gleichberechtigte Integration in den Weltmarkt und die Einbindung in die Weltpolitik mit einer gesteigerten Verhandlungsmacht der Schwellenländer. Vor allem letztere engagierten sich stark, wie sich in der Gründung der G 20, des BRICS und der BASIC-Gruppe zeigt:
– G20 ist die informelle Gruppe der 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie der Europäischen und der Afrikanischen Union. Sie trifft sich seit 1999, um internationale wirtschaftliche und finanzielle Fragen zu diskutieren, und repräsentiert über 85 % des weltweiten BIP und zwei Drittel der Weltbevölkerung.
– BRICS ist ein informelles internationales Forum großer Volkswirtschaften, das 2006 als Gegenpol zu den westlichen Industriestaaten gegründet wurde und sich für eine multipolare Weltordnung einsetzt. Der Name stammt von den Anfangsbuchstaben der Gründungsmitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. 2024 sind Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie 2025 Indonesien dazugekommen. BRICS führt jährlich Gipfeltreffen zu Themenschwerpunkten durch.
– Basic-Gruppe: 2009 vereinbarten Brasilien, China, Indien und Südafrika ein gemeinsames Handeln auf der Weltklimakonferenz.
Zudem fanden weitere Lateinamerika-Afrika-Gipfeltreffen statt, z.B. 2006 in Abuja (Nigeria) mit 65 Statsoberhäuptern und 2009 in Venezuela mit 61 Vertreter/innen. Auf regionaler Ebene gab bzw. gibt es inzwischen eine Vielzahl von Organisationen, die teils stärker wirtschaftlich ausgerichtet sind, teils eher politisch, teils mit Finanzierungsaufgaben und teils zur gemeinsamen Lösung branchenspezifischer Aufgaben (Einzelheiten im Anhang).
Welche Rolle der Süd-Süd-Kooperation inzwischen zugemessen wird, belegt eine Aktion der Welthandelskonferenz (UNCTAD). Sie veröffentlichte im November 2024 ein „Handbuch für den Rahmen zur Messung der Süd-Süd-Kooperation“. Die UNCTAD geht davon aus, dass diese „eine Quelle der Innovation und der gegenseitigen Unterstützung ist …. und neben anderen Entwicklungshilfemaßnahmen maßgeblich zur nachhaltigen Entwicklung“ beiträgt. Das Handbuch basiert auf umfangreichen Erfahrungen von Pionierländern und deren freiwilliger Mitarbeit sowie auf der Unterstützung durch die regionalen Wirtschaftskommissionen der UN (ECA, ESCAP, ESCWA und ECLAC). Sein Schwerpunkt liegt auf staatlich geleiteten Aktivitäten, die auf Entwicklungs- und humanitäre Zwecke ausgerichtet sind. Von kommerziellen Interessen betriebene Maßnahmen sowie der Austausch zwischen privaten Parteien sind nicht einbezogen.
Das Handbuch umfasst acht Kapitel. Das erste bietet einen konzeptionellen Überblick und den historischen Hintergrund. Kapitel 2 befasst sich mit dem Wert der Daten und den Herausforderungen bei ihrer Messung und Verarbeitung. Dem folgt in Kapitel 3 die Beschreibung der Mitwirkung und des Instrumentariums. Kapitel 4 untersucht den nationalen institutionellen Rahmen. Im 5. Kapitel geht es um Details der benötigten Datenquellen. Kapitel 6 befasst sich mit der Qualitätssicherung im Einklang mit amtlichen Statistiken. Die Kapitel 7 und 8 konzentrieren sich auf die Analyse, Dokumentation und Verbreitung von Daten und Statistiken der Süd-Süd-Zusammenarbeit.
Tatsache ist, dass in den vergangenen Jahren der Süd-Süd-Handel stärker expandierte als der Nord-Süd-Handel. Der globale Süden leistet einen immer größer werdenden Beitrag zur Weltwirtschaft. Auch die Süd-Süd-Investitionen sind deutlich höher als früher. Dies liegt zum Teil an den besonderen Fachkenntnissen, die eingebracht werden können, teils an der Skepsis von Staaten des Südens gegen Investoren aus dem Norden, teils aber auch an erhöhter Risikobereitschaft von Staaten des Südens.
Eine besondere Rolle spielen die chinesischen Akvitäten in afrikanischen Staaten. Schwerpunkt sind der Ausbau der Infrastruktur und der Tausch afrikanischer Rohstoffe gegen chinesische Industrieprodukte. Indien bemüht sich um ein ähnliches Vorgehen. Dabei ist kennzeichnend, dass die chinesische und die indische Entwicklungskooperation eng in die Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik eingebunden sind. Im Unterschied zu westlichen Industriestaaten gilt in diesen Beziehungen das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Empfängerlandes, was diesen zumeist sehr gelegen kommt. Verhaltensauflagen werden in der Regel abgelehnt.
Dabei ist nicht zu übersehen, dass Aktivitäten wie die chinesischen auch Nachteile mit sich bringen können. Sie erzeugen eine Abhängigkeit von Rohstoffexporten – statt die Weiterverarbeitung im Lande zu fördern -, sie bewirken eine hohe Verschuldung nebst entsprechender Belastung der Haushalte, sie setzen die Empfängerländer einem Konkurrenzdruck durch billige Importe von Fertigprodukten aus, und sie bieten den Geberländern gute Chancen, ihre weltpolitischen und militärischen Zielsetzungen zu verbreiten.
In den letzten Jahren hat es zwei wichtige Ansätze gegeben, um den Ländern des globalen Südens eine größere Mitwirkung in internationaler Politik sowie einen höheren Anteil an der weltweiten Wertschöpfung zu verschaffen. Beide Projekte sind weitgehend gescheitert, obwohl sie ambitioniert vorbereitet waren.
Im Juni 2007 trafen sich in Heiligendamm an der Ostsee Vertreter von acht Industrieländern (G8: Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Russland Japan, Kanada, USA), fünf Schwellenlädern (O5: VR China, Brasilien, Indien, Mexiko, Südafrika), sechs Entwicklungsländern (Ägypten, Algerien, Äthiopien, Ghana, Nigeria, Senegal) und sieben internationalen Organisationen (EU, Afrikan. Union, GUS/ehemalige Sowjetrepubliken, Internat. Atomenergieagentur, UNESCO, UNO und WHO).
Schwerpunkt der Tagung war die Globalisierung, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. Verantwortung und Engagement der G8 für die benachteiligten Gruppen der Weltbevölkerung sollten gesteigert werden. Die Tagesordnung war breit und anspruchsvoll: Abbau der globalen Ungleichgewichte, Transparenz der Finanz- und Kapitalmärkte, Investititonsfreiheit in Industrie- und Schwellenländern, soziale Dimension der Globalisierung, wissensbasierte Gesellschaften, Schutz vor Produkt- und Markenpiraterie, nachhaltiger Umgang mit Resourcen, Energieeffizienz und Klimaschutz, besondere Probleme Afrikas.
Die finanziellen Zusagen der G8-Staaten blieben begrenzt auf ein 45 Mrd. schweres Programm zur Bekämpfung von AIDS, Malaria und Tuberkulose in Afrika. Konkrete Vereinbarungen über Klimaschutzziele scheiterten am Einspruch von USA, China und Indien. Eine Senkung der weltweiten CO2-Emissionen wurde nicht vereinbart, sondern nur „ernsthaft in Betracht gezogen“. Ein freiwilliger (!) Verhaltenskodex für riskante Investmentfonds traf auf den Widerstand von USA und Großbritannien. Der weitweit zunehmende Protektionsismus wurde zwar beklagt, Maßnahmen dagegen blieben jedoch aus. Die Teilnehmer verpflichteten sich, den Schutz vor Produkt- und Markenpiraterie zu verstärken und die Nachfrage nach gefälschten Produkten einzudämmen. Einig war man sich darin, die Gipfelberatungen von G8 und O5 fortzusetzen.
Im Juni/Juli 2025 fand in Sevilla die vierte internationale UNO-Entwicklungsfinanzierungskonferenz statt. Antworten und Lösungen blieben jedoch aus. Der Westen kürzt weiterhin seine Entwicklungsgelder und verschärft die Schuldenlast des Südens, obwohl 2025 urspünglich einmal als „Jahr des Schuldenerlasses“ geplant war. In der Schlusserklärung, die ehrlicherweise ‘Compromiso’ genannt wurde, fielen sämtliche Anliegen der übershuldeten Staaten unter den Tisch.
Die langjährige Forderung nach einer UNO-Schuldenkonvention wurde gestrichen. Dort sollten die Interessen der Schuldnerländer des Südens und die Gläubiger aus dem Norden (Staaten, private Kreditoren, Banken und Rohstoffhändler) gleichberechtigt vertreten sein. Diese Hauptforderung des Südens hat es noch nicht einmal als Absicht in die Schlusserklärung geschafft. Immerhin bestehen 61% der Schulden gegenüber privaten Gläubigern, und die Zinsen sind weitaus höher als in den USA und der EU. In 48 Staaten liegen die Zinszahlungen über den Ausgaben für Bildung oder Gesundheit.
Zivilgesellschaftliche Organisationen hatten bereits weitgreifende Bedingungen für eine Schuldenkonvention aufgelistet:
– Zeitlich klar begrenzte Verhandlungsdauer, Gleichbehandlung beider Seiten;
– Zahlungsmoratorium für die Dauer der Verhandlungen;
– Keine Verwendung erlassener staatlicher Schulden zur Zahlung an private Gläubiger
(Bailout);
– keine Koppelung des Schuldenerlasses an rigorose Sparmaßnahmen;
– Erhalt des Kapitalmarktzugangs auch für überschuldete Staaten.
Als notwenig erachtet wurde zudem die Schaffung eines sogenannten Borrowers Club, also eines handlungsfähigen Zusammenschlusses der Schuldnerländer als Spiegelung des bestehenden Pariser Club, der Vereinigung der Gläubiger-Staaten. Deren Vertreter bevorzugen dagegen Einzelfallregelungen, bei denen individuell über Schulden- und Zinserlass, Stundungen und Umstrukturierungen verhandelt wird. Die Verhandlungsposition der Gläubiger ist dann ungleich stärker. Insbesondere die privaten Kreditgeber zeigten sich kompromisslos.
Die Chancen und Vorteile der Süd-Süd- gegenüber der Nord-Süd-Zusammenarbeit sind wahrscheinlich schwächer als erhofft und die Integrationsgewinne geringer als erwartet. Das liegt daran, dass sich die kooperiernden Volkswirtschaften in ihrer Faktor- und Ressourcenausstattung stark ähneln, dass die Kostenunterschiede (deshalb) relativ gering sind und dass Gütermärkte und Infrastruktur nur eine begegrenzte Leistungsfähigkeit aufweisen. Daher wird die Süd-Süd-Kooperation von vielen Wissenschaftlern nicht als Ersatz, sondern bestenfalls als Ergänzung bzw. Erweiterung der weltwirtschaftlichen Integration der Entwicklungsländer eingestuft. 5)
Da Süd-Süd-Kooperation nicht hinreichend wirkt oder in der Realisierung scheitert, wird immer wieder die Forderung nach Dreieckskooperationen vertreten: zwei miteinander kooperierende Staaten des Südens tun sich mit einem Staat des Nordens zusammen, der Finanzmittel und andere Ressourcen einbringt. Insbesondere die OECD macht sich für solche Konstruktionen stark und hat dazu eine Reihe von Materialien erstellt.
Anlage: Internationale Institutionen unter Beteiligung von Staaten des Südens
Afrika: AfDB African Development Bank, ECA Economic Commission for Afrika, AU Afrikanische Union (Dachverband, früher OAU Organization for African Unity), COMESA Gemeinsamer Markt für das Östliche und Südliche Afrika, EAC Ostafrikanische Gemeinschaft, ECCAS Wirtschaftsgemeinschaft Zentralafrikanischer Staaten, ECOWAS Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten, UMA Arabische Maghreb Union
Asien: ADB Asiatische Entwicklungsbank, New Development Bank (Schanghai), Asian Infrastructure Investment Bank (Peking), ESCAP Economic Comission for Asia and the Pacific, ESCWA Economic and Social Commission for Western Asia, ASEAN Verband südostasiatischer Nationen, APEC Asiatisch-Pazifische Wirtschaftliche Zusammenarbeit, SAARC Südostasiatischer Zusammenschluss für regionale Kooperation, RCEP Regional Comprehensive Economic Partnership, SOZ Schanghai Organisation für Zusammerabeit
Lateinamerika: CAF Lateinamerikanische Entwicklungsbank, CDB Caribbean Development Bank, ECLAC Economic Commission for Latin America and the Caribbean, Andenpakt Abkommen von Cartagena, ALADI Lateinamerikanische Integrationsvereinigung, ALALC Lateinamerikanische Freihandelszone, CARICOM Caribbean Community and Common Market, ELAC Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, MERCOSUR Gemeinsamer südamerikanscher Markt, OAS Organization of American States, SICA Zentralamerikanischen Integrationssystem