Oder verachtest du den Reichtum seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut, nicht wissend, daß die Güte Gottes dich zur Buße leitet?
Elberfelder 1871 – Römer 2,4
Oder missachtest du den Überfluss von Seiner Güte, Geduld und Weitherzigkeit, da du ignorierst, dass das von Gott kommende Gute dich immer wieder zur Umkehr bewegt.
Andreas Eichberger – Gottes Agenda – Römer 2:4
Ist euch Gottes unendlich reiche Güte, Geduld und Treue denn so wenig wert? Seht ihr denn nicht, dass gerade diese Güte euch zur Umkehr bewegen will?
Hoffnung für Alle – Röm 2:4
Indem Gott sein Strafgericht über die sündige Menschheit zurückhält, erweist er seinen Geschöpfen den Reichtum seiner Güte (chrEstotEtos, „tätige Güte“; vgl. auch Röm 11,22; Eph 2,7; Tit 3,4), Geduld und Langmut (vgl. Apg 14,16;17,30; Röm 3,26). Er will die Menschen durch seine Güte zur Buße, zur reuigen Umkehr zu ihm, bewegen. (Das hier verwendete Wort für Güte, chrEstos, ist ein Synonym des zuvor verwendeten chrEstotEtos. Beide Worte bedeuten „auf ein Bedürfnis eingehen“. ChrEstos wird in Lk 6,35 sowie in 1 Petrus 2,3 für Gott und in Eph 4,32 für die Gemeinde benutzt.) Doch in Verkennung der Absicht Gottes verachteten (kataphroneis, „geringschätzen“) die Menschen ihn und seine Werke (vgl. „die Wahrheit niederhalten“; Röm 1,18). Durch die natürliche Offenbarung (Röm 1,19-21.28) wußten sie zwar, daß er existiert, doch sie wußten nicht, was er mit seiner Güte bezweckte.
Die Bibel erklärt und ausgelegt – Walvoord Bibelkommentar
Oder verachtest du usw. Dies könnte ein anderweitiger Erklärungsgrund für die Sicherheit der Menschen sein sollen. Und so verstehen es in der Tat einige Ausleger. Ich deute den Satz lieber als einen voreiligen Schluss, welchen viele Leute aus ihrem gegenwärtigen Wohlergehen auf den Ausfall des göttlichen Gerichts ziehen könnten. Werkheilige Menschen lassen sich ja leicht durch glückliche Erfolge zu dem hochmütigen Irrtum verleiten, als hätten sie Gottes Gnade mit ihren guten Taten verdient, wodurch sie natürlich noch mehr in der Leichtfertigkeit ihres Umgangs mit Gott bestärkt werden. Solcher Anmaßung tritt der Apostel entgegen und zeigt, dass Gott es ihnen äußerlich wohl gehen lässt, nicht etwa, weil sie ihm besonders gefielen, sondern ganz im Gegenteil, um sie als Sünder zu sich zu bekehren. Wo also nicht Gottesfurcht herrscht, da ist Sicherheit im Glück nur Verachtung und Spott der göttlichen Güte. Daraus folgt, dass Gott dereinst nur kräftiger bestrafen wird, die er in diesem Leben geschont hat: denn sie haben zu ihren übrigen Sünden die Verachtung des freundlich – lockenden Bußrufs gefügt. Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte usw. Gott zeigt uns durch seine Güte, dass wir uns zu ihm kehren müssen, wenn wir es gut haben wollen; und zugleich macht er uns damit Mut, auf seine Gnade zu hoffen. Gottes Güte in anderem Sinne gebrauchen heißt sie missbrauchen. Und doch fordert die Absicht dieser Güte eine etwas verschiedene Deutung, je nachdem, wohin sie sich richtet: wenn Gott seinen Knechten Freundlichkeiten und Wohltaten im Irdischen erweist, so enthüllt er ihnen als solchen Zeichen allerdings seine Gnade und gewöhnt sie zugleich, in ihm den Inbegriff aller Güte zu suchen. Trägt er aber Gesetzesverächter mit der gleichen Sanftmut, so will gewiss seine Gütigkeit ihren Widerstand brechen: aber seine gegenwärtige Gnade beweist Gott solchen Menschen noch nicht; er will sie nur zur Buße leiten. Wollte aber jemand sagen, dass Gott doch tauben Ohren predige, solange er die Herzen nicht innerlich anrührt – so diene zur Antwort: anklagen darf man dabei nichts als die eigene Verkehrtheit.
Calvins Auslegung der Heiligen Schrift
Wenn man schon sagt, Gott sei gütig, dann müsste man sich auch fragen, was das denn bedeutet bezüglich des Menschen. Warum ist es so, dass einzig Gottes Güte erklären kann, warum wir noch am Leben sind und Gottes Wohltaten genießen? Weil wir alle in Sündenschuld verstrickt sind, kann einzig Gottes Güte uns schonen. Also predigt seine Güte laut von unserer Sünde und unserer Schuld.
»verachtest du«, καταφρονειν, kataphronein, heißt wörtlich »herabdenken«, also gering, niedrig von einer Sache oder von jemandem denken.
Gott will durch seine »Güte« die Menschen zur Umkehr bewegen, denn er ist gut. Wehe uns, wenn wir in unserem »Starrsinn« verharren und uns von Gottes Güte nicht bewegen lassen. Das ist schlimmer als jedes Laster; denn damit, dass wir seine Güte verachten, verachten wir Gott selbst. Welche Ungeheuerlichkeit! Und mit ihr häufen wir uns selbst »Zorn« auf. Das Verb »aufhäufen«, thesaurizō, bedeutet wörtlich »einen Schatz – thēsauros66 – anlegen«. Für jede Sünde, die wir begehen, bekommen wir den vereinbarten Lohn (siehe 6,23). Mit jedem Tag, den wir in der Sünde verharren, vergrößern wir unseren Schatz. Gott hat uns mit den Reichtümern seiner Güte zur Buße leiten wollen; wir aber haben diesen unermesslichen Schatz verachtet und uns einen anderen angelegt: ein Konto von beständig wachsender Schuld. Entsprechend unserem gesammelten Vermögen wird uns Gott am »Tag des Zorns« im vollen Umfang vergelten. Dem Heiden bedeutet der Tag des Zorns nichts; er hat nie von ihm gehört. Dem Juden hingegen ist er aus dem Alten Testament wohlbekannt. Dieser Tag wird für ihn ein Tag des Schreckens sein, wenn er in seiner Sünde verharrt und weiterhin die Sünden anderer verurteilt und Gottes Güte verachtet; denn es wird ein Tag »der Offenbarung« sein, ein Tag, an dem alle verborgenen Sünden aufgedeckt werden. Und es wird ein Tag »des gerechten Gerichts Gottes« sein: Gott wird den Unbußfertigen greifen und ihm vor seinem großen Thron das ganze aufgehäufte Sündenmaß vor Augen stellen, das Urteil über ihn sprechen und ihn der ewigen Strafe übergeben (Offb 20,11–15).…
»Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? So groß ist die Verblendung im Sünder, dass er, was ihm zu seinem Besten geschenkt wird, zu seinem Verderben missbraucht« (M. Luther, Vorlesung über den Römerbrief, erster Band, S. 91 [vgl. WA 56, 19, 14ff.]).Benedikt Peters – Der Brief an die Römer
Das führt den Apostel zu einem zweiten großen Grundsatz, der Gottes Gericht kennzeichnet. Gott gibt ausnahmslos Zeit, Buße zu tun, bevor Er das Gericht ausführt. Die Ausführung des Gerichts wird ohne jeden Zweifel kommen, auch wenn sie lange aufgeschoben werden mag. In seiner Güte verschiebt Gott sein Gericht und erträgt das Böse für eine Zeit. So war es in den Tagen Noahs, als Gott 120 Jahre lang zögerte, bevor Er das Gericht der Flut brachte. Es war genauso in der Geschichte Israels. Gott ertrug die bösen Wege dieses Volkes sehr lange, bevor Er Jerusalem zerstörte und die Nation zerstreute. So ist es auch heute, wenn Gott in Gnade dieses Gericht über die dem Untergang geweihten Welt zeitlich aufschiebt.
Wie aber reagiert der Mensch auf diese Langmut Gottes? Er verachtet den Reichtum der Güte Gottes. Wegen der Geduld meint der Mensch, Gott würde nie mehr richten. Aufgrund der Langmut Gottes denkt der Mensch, Gott stünde dem Bösen gleichgültig gegenüber. So verachtet der Mensch die Güte Gottes und erkennt nicht, dass der Grund für Gottes Geduld und Langmut darin liegt, dass Er dem Menschen noch die Möglichkeit einräumt, Buße zu tun. Die Güte Gottes macht auf diese Weise die Härte und Unbußfertigkeit des menschlichen Herzens offenbar. Gott handelt in Güte, der Mensch aber verachtet „den Reichtum seiner Güte“. Gott gibt Zeit zur Buße, aber der Mensch will keine Buße tun. Die Menschen verurteilen sich gegenseitig darin, Böses zu tun, aber sie lehnen ab, die eigenen Sünden zu bereuen. Die Tatsache, dass Gott Zeit zur Buße schenkt, zeigt zugleich, dass jeder Mensch Buße tun muss, um mit Gott ins Reine zu kommen und um dem Gericht Gottes zu entkommenHamilton Smith – Der Brief an die Römer
Der Mensch hält sich für sicher, weil uns Gottes Güte trotz unserer Bosheit viel Gelingen und Gedeihen gibt und seine Geduld viel Böses mit ansieht, ohne uns zu wehren, und seine Langmut die Vergeltung hinausschiebt und uns immer wieder Frist gewährt. Das menschliche Leben ist nicht bloß von Gottes Zorn durchwaltet, sondern Gottes Weltregierung wird zugleich, ja überwiegend durch seine Güte und Geduld bestimmt. Aber ihr Ziel und Werk ist, daß sie unser Herz vom Bösen ab zu Gott hin wenden will. Kein Mensch kann sich im Ernst eine Güte denken, die ihn in der Schlechtigkeit bleiben ließe, die nicht darauf hinarbeitete, ihn vom Bösen los und gut zu machen. Wenn wir darum die Güte Gottes als Erlaubnis zur Sünde deuten und bei Gottes Geduld und Langmut Pflege und Schutz für unsere Bosheit suchen, so wandelt sich unser Vertrauen auf Gottes Güte in ihre Verachtung um. Wir verschmähen ja das, was uns die Güte Gottes geben will. Dazu braucht es einen harten Sinn und ein Herz, das seine böse Art zäh festhält und nicht fahren lassen will. Dem haben wir es aber zu verdanken, daß wir Gott noch anders erleben werden als nur nach seiner Güte und Geduld. Denn Gott wird sich als den offenbaren, der das Recht vollstreckt. Jetzt ist es unter der göttlichen Güte und Geduld verborgen. Wir erfahren es noch nicht handgreiflich in unserem Geschick, daß Gott das richterliche Amt in fehlloser Gerechtigkeit an allen übt und mit seinem Urteil jedem zumißt, was ihm gebührt. Aber es wird sich zeigen, daß Gott das Recht verwaltet und dabei von der Wahrheit allein geleitet ist, und dann werden wir finden, daß aus der entweihten und mißbrauchten Güte Zorn geworden ist, ein Schatz des Zorns, den wir selbst uns dadurch ansammelten, daß wir den Reichtum seiner Güte mit unserem harten Sinn vergebens empfingen und zur Mehrung unserer Sünde ausnützten.
Schlatters Erlӓuterungen zum Neuen Testament
Das mit »verachtest« übersetzte griechische Wort kataphrone steht mitten im Satz und folgt direkt auf »Langmut« und hebt so den Gegensatz zu Gottes Güte und Geduld hervor. Verachten ist ein Ausdruck der Geringschätzung. Die Menschen im allgemeinen und die Juden im besonderen ignorieren willentlich die Barmherzigkeit Gottes und nehmen an, daß Gott niemals etwas gegen die Sünde unternehmen werde. Anstatt sich von der Güte Gottes zur Buße leiten zu lassen, protestieren sie gegen jeglichen Eingriff Gottes in die Welt der Menschen.
Paulus bietet mit seinen Worten ein unvergleichliches Bild vom Charakter Gottes. Viel ist geschrieben worden über die Bedeutungsnuancen der Wörter Gütigkeit, Geduld und Langmut. Allen drei stellt Paulus das Wort Reichtum voran. Paulus tut das oft, wenn er in seinen Briefen von Gottes Charakter und Werken spricht. In Epheser 2,7 spricht er vom »überschwenglichen Reichtum seiner Gnade«. Hier sagt Paulus, daß diese Gnade nicht anerkannt wird. Das Ausmaß von Gottes Bemühungen an dem Menschen durch Seinen Geist, der zur Buße leitet, wird nie voll erkannt werden, aber ist beständig wirksam. Gott wünscht, daß der Mensch sein Denken ändert und sich vom Bösen zum Guten wendet. Das hier verwendete Wort beschreibt nicht die Reue über die üblen Folgen unserer Taten, sondern die Abkehr vom bisherigen bösen Tun und die Umkehr zu einem völlig anderen und besseren Lebenswandel. Trotz der vielfältigen Mittel, die Gott verwendet, um den Menschen zur Buße zu führen, ist die allgemeine Reaktion Verachtung. Man höhnt über die bloße Vorstellung, umkehren zu müssen. Der Mensch liebt die Freiheit und widerstrebt daher jeder Aufforderung, sich auf einen Weg zu begeben, den er nicht selbst gewählt hat. Die Langmut Gottes gewährt genügend Anlass zur Umkehr, aber wenn Gottes Ermahnungen beharrlich abgewiesen werden, muss das gerechte Gericht folgen. Es ist dann unabwendbar.Benedikt Peters – Was die Bibel lehrt