#folge46 #NoToDo
Freizeit, Freiheit, froher Sinn – doch bevor ein Agenturmensch in den heiß ersehnten und wahrscheinlich wohl verdienten Urlaub gehen kann, muss er die Kernerarbeit der Übergabe bewältigen. Gut, dass es dafür etablierte Standards gibt. Einen Fluch und Mehrarbeit inklusive.
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Urlaub? Ich hasse Urlaub. Ganz sicher nicht meinen eigenen, auch nicht den Urlaub an sich, denn ich habe meinen Urlaub wirklich immer verdient, und ich habe ihn auch wirklich immer nötig, ich, Buddy Müller, Senior Project Supervisor der weltweit größten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.
So auch jetzt, mit meiner nächsten Auszeit in Sichtweite.
Mein Managing Director, der EmmDee, war zwar grundsätzlich anderer Meinung als ich, ob ich meines Urlaubs wirklich würdig sei. Aber ich zähle mich ruhigen Gewissens zu den rund 34 % aller deutschen Arbeitnehmenden, die überzeugt sind, dass sie deutlich mehr Urlaubstage bräuchten, als die Arbeitgebenden ihnen zustünden.
„Es ist mir ein Rätsel“, sagte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds, mein scheinbar nimmermüdes und nur für mich hörbares MacBook Pro, „dass nicht noch mehr Menschen noch mehr Urlaub wollen.“
„Menschen, Maloche, Masochimus“, anlautreimte ich.
„Maximaler Match“, ergänzte Brad.
Meister der Feiertage
Ein Match, der hervorragend dokumentiert wurde. Aktuell waren digitale wie gedruckte Medien voll mit neuen Zahlen zur angeblich schönsten Zeit des Jahres. Die sich auch schön in exakten Tagen zählen ließ.
So verfügte jeder Bundesdeutsche im Schnitt über 28 Tage Urlaub, die er genehmigt fernab von Schreibtisch oder Fließband verbrachte (was ein und dasselbe für uns Agenturmenschen ist).
Dazu kamen bundesweit neun bezahlte Feiertage, in Bayern 13. Wer das Glück hatte, in der Schwabenmetropole Augsburg ansässig zu sein, konnte sogar 14 Feiertage zusätzlich in den Urlaubskalender eintragen.
„No oin Dag in Augschburg meh? An dem i au bloß Schwäbisch schwetza hör?“, fragte Brad. „Des wär’s mr ned wert.“
Das sollte wohl heißen, dass Brad gut auf einen Dienstort in Augsburg verzichten könne.
Kühle Kalkulatoren
Jedoch: Jeder einzelne freie Tag mehr, war ein wichtiger Bestandteil jener Kalkulationen, die Arbeitnehmende meist schon früh im Jahr anstellten, mehr kühle Rechner als hochtalentierte Rechenkünstler. Wie bei einer Perlenkette reihten sie Urlaubs- und Brückentage aneinander, auf dass sie es locker von der Oster- bis in die Adventszeit schafften.
Sehr zum Leidwesen der Arbeitgebenden und der Kunden und Kundinnen, die entweder den Mangel an Einsatzbereitschaft oder den – wenn auch nur vorrübergehenden – Verlust ihres Ansprechpartners beklagten, auf den sie doch ein verbrieftes Anrecht hätten.
Sie ließen dabei völlig außer Acht, dass auch die Arbeit-, also die Urlaubnehmenden litten. Wie Hunde in der Sommerhitze eines südseitigen Großraumbüros, die sich hechelnd wiederum kaum von Herrchen und Frauchen bei der Urlaubsvorbereitung unterschieden.
Weil jeder einzelne Tag Absenz von der Arbeit, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde exakt im Voraus geplant werden musste.
Weswegen ich Urlaub hasste.
Buddy, übergeben Sie!
Untersuchungen zufolge sind zwischen zwei und fünf Stunden pro Projekt für eine saubere Urlaubsübergabe zu veranschlagen; die Studienangaben schwankten wie mein EmmDee nach einer erfolgreichen Award-Verleihung.
Meine erschöpfende Erfahrung bestätigte jedoch die Schätzung: Auf die vorurlaubliche Wochenarbeitszeit konnte man gut 50 Prozent und mehr draufpacken. Wobei es keine Rolle spielte, ob man auch im Urlaub Hand anlegte, an Dateien oder an Dokumente, nicht an Versuchungen unter südlicher Sonne oder an gekühlte Getränke in gefälligen Gestaden.
Was rund 48 % der bundesdeutschen Arbeitnehmenden gelegentlich und 13 % regelmäßig taten.
„Im Urlaub zu arbeiten, nicht sich zu vergnügen“, sagte Brad.
Gut und gerne, eigentlich weniger gerne, steckte jeder deutsche Arbeitnehmer pro Urlaubstag mindestens 1,3 Stunden in das, was er vor dem Urlaub nicht weggeschafft oder nicht rechtzeitig übergeben hatte. Je jünger, desto mehr Stunden pro Urlaubstag.
„Agenturmenschen werden da nicht mitgezählt“, sagte ich überzeugt. Denn wir würden, unabhängig vom Alter, die täglichen Stunden an Arbeit in der Auszeit signifikant erhöhen.
Und dass, obwohl wir wahre Künstler der kontrollierten Übergabe waren.
Für „The Art of Handover“ hatte sich im Laufe der Jahrzehnte ein Schema bewährt, das durchaus für den branchenübergreifenden Einsatz taugte:
- Identifiziere anstehende Aufgaben und wähle dann vor allem diejenigen, die du nicht gerne selbst machst!
- Benenne einen Stellvertreter und einen Stellvertreter des Stellvertreters, falls der Stellvertreter im Urlaub ist! Wähle immer jene, die nicht schnell genug nein sagen können!
- Verteile anstehende Aufgaben und takte Termine ein – stets nach dem Stellvertreterprinzip (siehe 2.)!
- Verschiebe offene Fragen immer auf den konkreten Zeitraum „nach dem Urlaub“! Der Zeitraum zwischen Ende des einen Urlaubs und Beginn des nächsten ist konkret genug.
- Dokumentiere die Übergabe schriftlich – inklusive aller Namen der Vertreterinnen und Vertreter. So verhinderst du, dass es hinterher Diskussionen über potenzielle Schuldige gibt.
Dreisprung, Dreisatz, kein Todo
So gerüstet machte ich mich ans Werk, meine Gewerke zu übergeben. Was mir leichtfiel, da mir bald südliche Sonne, sanfte Wellen und starke Getränke winkten.
Lang und Länger, unsere beiden Volontäre, von denen der eine immer lang und der andere immer länger arbeitete, bekamen schwere Kalkulationen, damit sie endlich lernten, dass ein Dreisatz kein Dreizeiler war.
Ich erhöhte gezielt den auf ihnen lasteten Druck, zumindest hormonell, indem ich Lila Stiefelchen, unsere blonde wie blitzgescheite Praktikantin aus der Controlling-Abteilung zur Prüfung ihrer Berechnungen bestimmte.
Dr. No, die prohibitiv veranlagte Assistentin unseres EmmDee, sollte sich mit großem Elan und positiver Energie an die Organisation unseres Sommerfestes machen, und an Qwertz, meinen Lieblings-Teamlead, vergab ich die interne Kommunikation des Agentur-Get-togethers unter dem gewinnenden Motto „Grill, Gemeinschaft, Gerstensaft“ – und damit auch das tagelange Ringen mit dem EmmDee um die richtigen Formulierungen für die Einladungs-E-Mail an die Gefolg-, äh, Belegschaft.
Zufrieden betrachtete ich die geplante Übergabe, da spürte ich einen Schlag auf meiner Schulter noch bevor ich den dumpfen Schlag meiner Bürotür an die Wand hörte.
Der EmmDee war in mein Büro gestürmt.
„Ich bin jetzt mal weg“, dröhnte er in mein Ohr. Und hieb mir nochmal auf die Schulter, schmerzhaftes Zeichen seines Vertrauens.
„Zwei Wochen, Müller, die wirst du ohne mich auskommen. Es gibt eh kein To-do.“
Mir gefror das Blut in den Adern.
Verflucht, wer bleibt
Nicht etwa, weil mein EmmDee einer der wenigen in unserer Agentur war, der einzige gar, der sich nicht an die ewigen Regeln der Übergabe hielt.
Oder weil er sich ebenso wenig an die ebenso ewige Regel hielt, dass jeder, ausnahmslos jeder in unserer Agentur seinen Urlaub anzukündigen und im Falle einer Genehmigung einzutragen hatte, in dem für jedermann einsehbaren digitalen Abwesenheitskalender.
Die Genehmigung erteilte der EmmDee sich selbst, und er enthob sich wohl auch selbst von der Pflicht des Eintragens und Ankündigens.
Was ich unter Berücksichtigung der innerbetrieblichen Hierarchie gerade noch hinnehmen konnte.
Aber „Kein To-do“?
„Kein To-do“ entfaltete eine wüste Wirkung.
„Kein To-do“ zog fatale Folgen nach sich.
„Kein To-do“ war ein böser Zauberspruch, ein Fluch, den der in den Urlaub Enteilende über die Zurückbleibenden verhängte.
Alles, was mit „Kein To-do“ verbunden war, führte unweigerlich zum größtmöglich vorstellbaren Arbeitsaufwand.
Getroffene Entscheidungen wurden revidiert, verhandelte Verträge blieben ohne Unterschrift, freigegebene Projekte mussten von Grund auf überarbeitet werden, abgestimmte Arbeitsabläufe wurden um mehrere Schleifen erweitert, rekursive, nicht endende Schleifen, selbstverständlich.
Aus locker zu lösenden Lappalien wurden kaum zu kontrollierende Katastrophen.
Selbst wenn sich der EmmDee zum Abschied in die Auszeit nur auf die als Chefsache eingestuften Projekte bezog, aus denen wir ihn trotz vereinter Kräfte nicht heraushalten konnten, würde sein „Kein To-do“ unweigerlich zu Krisensituationen führen.
Darum hasste ich Urlaube.
Auf, auf und davon!
Ich atmete tief durch.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich meinen treuen Gefährten Brad MacCloud, in der Hoffnung, dass ihm ein Bannspruch für die nahende Notlage einfiele.
Keine Antwort.
„Hallo?“, fragte ich, und mit mehr Nachdruck noch einmal: „Was machen wir jetzt?“
Ich tippte an Brads Bildschirm.
Nichts.
„Hallooooo?“
„Ich weiß ja nicht, was Du jetzt machst“, sagte Brad plötzlich. Er wirkte gehetzt, sein Kameraauge glühte. „Aber ich plane jetzt meinen Urlaub. Für dich ist da kein …!“
„Sag’s nicht“, unterbrach ich ihn noch rechtzeitig. Mir reiche schon der EmmDee, sagte ich, der seine komplette Arbeitslast zu meinem Armageddon machte.
„Dann weißt Du, wie es mir meist geht“, antwortete Brad.
Er erbat sich sofortigen Dispens, denn er müsse wirklich nun seinen Urlaub vorbereiten, das bedürfe diesmal besonderer Umsicht und viel Feingefühl, weil er nicht allein unterwegs sein werde.
Ich fragte, ob es etwas Festes sei. Doch das hörte er schon nicht mehr.
Brad war weg, aufgebrochen in die Weiten des World Wide Webs.
Einsam, wie ich zurückblieb, holte ich mir einen „Il Solitario“ aus unserer Siebträgermaschine im Wert eines Kleinwagens. Dann legte ich los.
Ich korrigierte zuerst meinen – im Abwesenheitskalender eingetragenen – Urlaub so, dass er sich um zwei Tage mit dem Urlaub des EmmDee überschnitt.
Etwas mehr Abstand voneinander würde ihm und mir guttun.
Dann krempelte ich meine sorgsam ausgefeilte Übergabe um, strich die liebevoll mit Verantwortung bedachten Kolleginnen und Kollegen von meiner Liste, ersetzte sie durch den Namen des EmmDee, und ergänzte um die vollständige Liste aller Chefsache-Projekte.
Schließlich setzte ich, gefettet, in doppelter Schriftgröße darunter: „Kein To-do.“
Ach, wieviel Zauber liegt in diesen Worten.
Ich glaube, ich beginne Urlaube zu lieben.
Eine Zahl geht noch: Aktuellen Internetrecherchen zufolge benötigt ein Urlaubsantrag in Deutschland 75 Tage bis zur Genehmigung.
Es ist also genügend Zeit, um die Übergabe von Projekten gründlich vorzubereiten.
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