Brennpunkt Bremen
Ăffentlicher Dienst â Nirgendwo sonst verdichten sich Armut, FachkrĂ€ftemangel und klamme Kassen so spĂŒrbar wie im Stadtstaat Bremen. In JugendĂ€mtern, Kitas und an der Uni arbeiten BeschĂ€ftigte am Limit â und doch geht es am Ende nicht nur um sie, sondern um das Fundament der Gesellschaft.
Ein Streifzug durch die Stadt zeigt, warum die kommende Tarifrunde der LĂ€nder ĂŒber mehr entscheidet als ĂŒber Prozente. Als ich am Bremer Hauptbahnhof den Zug verlasse und ĂŒber den Vorplatz laufe, kommt in mir eine vertraute Anspannung hoch. Als junges MĂ€dchen war das hier ein Ort, an dem man schnell in Konflikte geraten konnte: Möchtegern Gangster, die sich Respekt verschaffen wollten, MĂ€dchengruppen, die aus Langeweile nach Stress suchten, und eine offene Drogenszene. Nicht selten wurde man abgezogen, manchmal nur mit einem dummen Spruch bedacht, aber immer mit diesem Druck, gleich könnte etwas passieren. Heute aber stehen hier zwei neue GebĂ€udekomplexe: Im sogenannten âTor zur Innenstadtâ sind GeschĂ€fte, eine Drogerie sowie Gastronomie untergebracht. Es ist belebt auf dem Vorplatz, an manchen Tagen steht hier eine SuppenkĂŒche fĂŒr BedĂŒrftige.
RĂŒckblickend wird mir klar, wie rau Bremen an vielen Ecken war â und noch heute ist. Eine Stadt, in der Armut nicht am Rand, sondern mitten im Alltag sichtbar ist. Fast jedes dritte Kind wĂ€chst hier in einer Familie mit Sozialleistungen auf, in Stadtteilen wie Tenever oder Gröpelingen ist es jedes zweite. Im Pisa-Ranking landet das Land regelmĂ€Ăig auf den hintersten PlĂ€tzen, und auch das Gesundheitssystem steht unter Druck: Personalmangel in den KrankenhĂ€usern, lange Wartezeiten in Arztpraxen. Bremen ist ein Stadtstaat der GegensĂ€tze â weltoffen, etwas âökoâ und mit einem hohen Anteil an ehrenamtlichem Engagement, aber zugleich zermĂŒrbt von struktureller Armut, hoher Arbeitslosigkeit und einer notorisch leeren Stadtkasse.
Dass ich spĂ€ter selbst in der Jugendhilfe gearbeitet habe â zwei Jahre lang in einer Unterkunft fĂŒr unbegleitete minderjĂ€hrige GeflĂŒchtete â hat meinen Blick geschĂ€rft. Was mir damals begegnete, war keine abstrakte Statistik, sondern harte RealitĂ€t: Jugendliche ohne Eltern, ohne Halt, oft traumatisiert. Dazu eine ĂŒberlastete Verwaltung, die kaum hinterherkam, und Einrichtungen, die mit dem Nötigsten improvisierten. Im Alltag spĂŒrte man, was es heiĂt, wenn das System brĂŒchig wird.
Und so wirkt Bremen wie ein Brennglas: Armut, Bildungsungleichheit, FachkrĂ€ftemangel, Ăberlastung der Sozialsysteme â alles ballt sich hier. Wenn man verstehen will, warum die Tarifverhandlungen fĂŒr den öffentlichen Dienst der LĂ€nder so entscheidend sind, dann ist diese Stadt ein SchlĂŒssel.
Jugendhilfe am Limit
Massiv unter Druck steht die Kinder- und Jugendhilfe. Besonders deutlich wird das im Fachdienst Amtsvormundschaft beim Amt fĂŒr Soziale Dienste. Dort ĂŒbernehmen AmtsvormĂŒnder*innen die elterliche Sorge fĂŒr Kinder und Jugendliche, deren Eltern dazu nicht in der Lage sind â etwa, weil sie sucht- oder psychisch krank sind, ihre Kinder misshandeln, im GefĂ€ngnis sitzen oder verstorben sind. Eine groĂe Gruppe sind auch unbegleitete minderjĂ€hrige GeflĂŒchtete, die oft schwer traumatisiert sind.
âDer schlimmste Punkt ist eigentlich, wenn die Fallzahlen zu hoch sindâ, sagt Martina Bartels, Mitglied im Gesamtpersonalrat Bremen, Mitte September auf der ver.di-Kundgebung âWer hilft noch, bevor das Kind in den Brunnen fĂ€llt?â Vor dem Dienstsitz des Senators fĂŒr Finanzen, zwischen Bannern und Transparenten schildert mir die ehemalige Abschnittsleiterin im Fachdienst fĂŒr Amtsvormundschaft die Lage: âMan muss sich vorstellen, man hat 50 Kinder â die gesetzliche Höchstgrenze â zu versorgen. Wir haben die volle Sorge als ,an Eltern stattâ. Das heiĂt, man hat alle Verantwortungsbereiche und haftet mitunter auch, wenn es nachweislich fahrlĂ€ssig ist.â
SpĂ€testens seit dem Fall Kevin weiĂ Bremen, was das bedeutet. Der zweijĂ€hrige Junge starb 2006 in einer verwahrlosten Wohnung, weil sein Vormund ihn ĂŒber Monate nicht mehr gesehen hatte. Der Amtsvormund hatte damals nach eigenen Angaben im Schnitt 240 FĂ€lle zu betreuen â ein extremes Beispiel dafĂŒr, wie lebensgefĂ€hrlich Ăberlastung werden kann.
Auch Mathias Hirscher, ver.di-Personalratsvorsitzender und frĂŒher selbst Sozialarbeiter im Jugendamt, verweist am Rande der Kundgebung auf Kevin: âDer Fall ist insofern bemerkenswert, weil ganz viele Menschen von ihm wussten. Sogar der damalige BĂŒrgermeister. Am Ende blieb das Jugendamt unten in der Hackordnung und Kevin starb.â FĂŒr die BeschĂ€ftigten ist die Angst bis heute real: âParagraf 8a SGB VIII regelt das. Alle, die mit Kindern zu tun haben, hĂ€ngen mit drin in der Verantwortung.â
Wie das heute aussieht, beschreibt Hirscher so: âDa geht eine Meldung ein, meinetwegen eine Polizeimeldung oder der Kindergarten meldet sich. Zwei Kolleg*innen gehen los, gucken, was vor Ort los ist. Verwahrloste ZustĂ€nde, Eltern unter Drogen â alles möglich.â Kommt es zu einer Inobhutnahme, stoĂen sie sofort an Grenzen: âWir haben eine Inobhutnahme-Stelle in Bremen, die ist seit geraumer Zeit ausgebucht.â
Ich erinnere mich gut an meine eigene Zeit in der Bremer Jugendhilfe: Eines Tages stand plötzlich ein deutscher Jugendlicher in der Unterkunft fĂŒr GeflĂŒchtete, in der ich arbeitete. Eigentlich hĂ€tte er in einer regulĂ€ren Inobhutnahme-Stelle untergebracht werden mĂŒssen, doch dort war lĂ€ngst kein Platz mehr. Also zog er zwischen junge Syrer und Afghanen, die selbst kaum wussten, wie es fĂŒr sie weitergeht. Eine Notlösung, die fĂŒr alle Beteiligten schwierig war â und zugleich sinnbildlich dafĂŒr, wie das System an seine Grenzen stöĂt. âGenau soâ, sagt Hirscher energisch, âdas soll eigentlich nicht sein, aber aus der Not heraus passiert das dann.â
Die Belastung fĂŒr die FachkrĂ€fte ist enorm â fachlich wie psychisch. âDie groĂe Gefahr ist, dass die Kolleg*innen in Situationen kommen, wo sie nicht wissen, was sie erwartet.â Das kann sie selbst traumatisieren. Supervision gebe es zwar, âzehn Termine im Jahrâ, aber der âKrankenstand ist atemberaubendâ. Viele schleppten eine âBugwelleâ an FĂ€llen vor sich her: â40 laufende FĂ€lle â man muss immer gucken, dass die BĂ€lle in der Luft bleiben.â PrĂ€ventive Hilfen fielen hinten runter: âDabei wĂ€ren PrĂ€ventivmaĂnahmen Gold wert.â
Das Kind nicht fallen lassen
Die Sonne scheint, als die ersten Redner*innen vor dem Finanzressort auftreten. In der Mitte des Platzes steht ein gebastelter Brunnen aus Pappe und Schaumstoff. Darauf lehnt eine Puppe, die ein Kind darstellen soll â ein mahnendes Bild fĂŒr das Motto des Tages. Nach einer halben Stunde kippt das Wetter. Böen reiĂen immer wieder an den Bannern. Der Himmel zieht zu. SchlieĂlich fegt eine Windböe so stark ĂŒber den Platz, dass der Brunnen wackelt und die Puppe ins Straucheln gerĂ€t. FĂŒr einen Moment sieht es so aus, als wĂŒrde das Kind wirklich in den Brunnen fallen.
âDie Frage ist: Wo wird Geld verteilt â und wo nichtâ, ruft Markus Westermann, GeschĂ€ftsfĂŒhrer des ver.di-Bezirks Bremen-Nordniedersachsen, ins Mikrofon, wĂ€hrend er die BlĂ€tter seiner Rede festklemmt. âWir sind heute hier, um deutlich zu machen, dass im sozialen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, wesentlich mehr Geld verteilt werden muss.â
Als Dr. Martin Hagen ans Mikrofon tritt, mĂŒssen sich die Kundgebungsteilnehmenden richtig in den Wind stemmen, um nicht ins Straucheln zu geraten. Der Vertreter des Senats beschreibt die angespannte Haushaltslage, betont aber, dass die Kinder- und Jugendhilfe politisch priorisiert werde â mehr StudiengĂ€nge fĂŒr FachkrĂ€fte, zusĂ€tzlicher Kita-Ausbau, Aufstockung der Beratungsstellen. âWir stehen hinter Ihnenâ, ruft er den BeschĂ€ftigten zu. âWir stehen auch mit Ihnen im Wind.â Doch viele winken ab. Zu oft haben sie erlebt, dass Versprechen gemacht, aber nicht eingehalten wurden.
Kinderarmut trifft FachkrÀftemangel
Kaum eine andere Stadt steht so unter Druck wie Bremen: Nirgendwo sonst ist das Risiko fĂŒr Kinder, in Armut aufzuwachsen, so hoch. Gleichzeitig fehlen tausende Kita-PlĂ€tze. 2.500 BeschĂ€ftigte arbeiten in den Einrichtungen von KiTa Bremen, weitere 1.500 bei freien TrĂ€gern (AWO, DRK, Kirchen etc.). Aber das reicht nicht. In den letzten Jahren sind die Kinderzahlen um 20 Prozent gestiegen. Laut Auskunft des Bremer Senats fĂŒr Kinder und Bildung werden bis 2030 voraussichtlich 1.500 Erzieher*innen fehlen.
Hinzu kommt die besondere Rolle der Kitas: Sie sind nicht nur Betreuungseinrichtungen, sondern SchlĂŒssel fĂŒr ArmutsprĂ€vention und Bildungsgerechtigkeit. Doch genau hier wird gespart, Stellen bleiben unbesetzt, Standards werden gesenkt.
âDa ruft eine Mutter beim Jugendamt an â was schon eine RiesenhĂŒrde ist â und wird abgewimmelt mit den Worten: âSie haben ja schon vier Kinder, dann brauchen Sie ja keine Hilfe.'â Erzieherin Janin, die in einer Kita arbeitet, erzĂ€hlt das, wĂ€hrend sie sich mit Kolleg*innen auf der Kundgebung solidarisiert. Sie wirkt immer noch fassungslos, wenn sie diese Szene schildert. âDie Mutter war völlig verzweifelt, sie brauchte dringend Familienhilfe, etwas Struktur im Alltag. Aber sie wurde einfach abgespeist. Am Ende wird das Kind in der Schule auffallen, und dann heiĂt es wieder: Wer ist schuld?â
âSeit 1. September dĂŒrfen ungelernte KrĂ€fte in Kitas arbeiten. Das FachkrĂ€ftegebot gilt nicht mehr. Und gleichzeitig hat man das erfolgreiche Ausbildungsprogramm PIA eingestellt. Wer so handelt, will gar keine hochqualifizierten Erzieherinnen mehr â sondern billigere.â Karolina Soszynski, PersonalrĂ€tin bei KiTa Bremen
Was im Amt nicht aufgefangen wird, landet frĂŒher oder spĂ€ter in den Kitas â die selbst seit Jahren am Limit arbeiten. Ăber die HĂ€lfte der FachkrĂ€fte ist inzwischen in Teilzeit, viele haben den Beruf ganz verlassen. Karolina Soszynski, PersonalrĂ€tin bei KiTa Bremen, spricht von einem âkleinen KĂŒrzungsprogrammâ: âSeit dem 1. September dĂŒrfen ungelernte KrĂ€fte in Kitas arbeiten. Das FachkrĂ€ftegebot gilt nicht mehr. Und gleichzeitig hat man das erfolgreiche Ausbildungsprogramm PIA eingestellt. Wer so handelt, will gar keine hochqualifizierten Erzieherinnen mehr â sondern billigere.â
Was im neuen Bremer Kinderförderungsgesetz (BremKG) als âEntschĂ€rfungâ verkauft wird, bedeutet in der Praxis: gröĂere Gruppen, weniger Personal pro Kind, weniger Förderung, chronischer Personalmangel. KrankheitsausfĂ€lle reiĂen weitere Löcher in die DienstplĂ€ne. Notgruppen, verkĂŒrzte Ăffnungszeiten, lange Wartelisten sind Alltag.
Das hat konkrete Folgen fĂŒr die Kinder: âIn einer Gruppe mit 20 Kindern haben oft elf oder mehr einen anerkannten Förderbedarf- und dafĂŒr stehen im besten Fall zwei Erzieher*innen. Da kann man nicht mehr von Förderung sprechenâ, sagt Soszynski.
In Bremen gilt in kommunalen Kitas der TVöD, bei freien TrĂ€gern meist in AnwendungstarifvertrĂ€gen der TV-L. Momentan wird nach dem Tarifvertrag fĂŒr den Bund und die Kommunen (TVöD) besser bezahlt, der Tarifvertrag der LĂ€nder (TV-L) hinkt hinterher. FĂŒr die BeschĂ€ftigten ist das ungerecht, was ver.di immer wieder thematisiert. Wer kann, wechselt natĂŒrlich in den TVöD oder wegen der Ăberlastung gleich den Beruf. Doch selbst dort, wo FachkrĂ€fte bleiben, verschĂ€rfen politische Entscheidungen die Misere.
PrekÀre Wissenschaft und studentische Arbeit
Vom Bremer Bahnhof sind es nur ein paar Stationen mit der StraĂenbahn bis zur UniversitĂ€t. Die Uni Bremen ist kein klassischer Campus mit roten Backsteinfassaden oder herrschaftlichen FakultĂ€tsgebĂ€uden. Stattdessen reihen sich Betonklötze aneinander, verbunden durch ĂŒberdachte GĂ€nge, in denen man sich leicht verlĂ€uft. Das HauptgebĂ€ude, das GW2, wirkt wie ein gigantisches Labyrinth â ein Relikt der 1970er Jahre, pragmatisch hochgezogen, um möglichst schnell Raum fĂŒr die Massen-Uni zu schaffen. FensterbĂ€nder, graue Flure, TreppenhĂ€user, die auf halber Etage ins Nichts fĂŒhren â fast alles wirkt ein bisschen improvisiert. Und doch hat diese Architektur etwas Ehrliches: Sie zeigt, dass hier kein Elfenbeinturm steht, sondern eine Arbeiteruni.
Ich habe hier selbst studiert, saĂ in den SeminarrĂ€umen, die heute noch die gleiche Mischung aus Automatenkaffee und Ăberlastung ausdĂŒnsten. MissstĂ€nde, die bundesweit an Hochschulen herrschen, sind hier besonders sichtbar. Studentische HilfskrĂ€fte (SHK), wissenschaftliche Mitarbeite-r*innen und das Technik- und Verwaltungspersonal halten den Betrieb am Laufen â und doch arbeiten sie oft unter Bedingungen, die mehr an eine Dauerkrise als an eine Hochschule des 21. Jahrhunderts erinnern.
Bundesweit bilden studentische BeschĂ€ftigte mit rund 200.000 Jobs die gröĂte TariflĂŒcke im öffentlichen Dienst: Seit ĂŒber 40 Jahren sind sie vom Tarifvertrag der LĂ€nder ausgenommen. VertrĂ€ge laufen im Schnitt nicht einmal ein halbes Jahr, Kettenbefristungen sind die Regel, unbezahlte Arbeit und fehlende UrlaubsansprĂŒche Alltag. Die Bremer Studie âJung, akademisch, prekĂ€r?â hat diese ZustĂ€nde 2023 detailliert dokumentiert. Hier, wo die Probleme so klar auf dem Tisch liegen, hat die Landesregierung einen Tarifvertrag fĂŒr Studierende â den âTVStudâ â sogar in den Koalitionsvertrag geschrieben. Umgesetzt ist er bis heute nicht.
Wir sitzen auf den schon ein wenig durchgesessen roten Ledersofas im GW2. Hier, im HerzstĂŒck der Uni Bremen, wo tĂ€glich Studierende, Dozierende und BeschĂ€ftigte ein- und ausgehen, schildert Lehramtsstudentin Saskia Gagel, was sie zermĂŒrbt. Sie kennt die RealitĂ€t studentischer BeschĂ€ftigung aus eigener Erfahrung: Mal ein Zweimonatsvertrag, mal drei Monate â dann wieder gar nichts. âIch hatte schon drei verschiedene SHK-Stellen in einem Semesterâ, erzĂ€hlt sie. âDas klingt nach viel Arbeit, war aber vor allem viel Rechnerei: Stunden zusammenzĂ€hlen, BAföG-Grenzen im Blick behalten, hoffen, dass sich Krankenkasse und Job nicht in die Quere kommen.â
âMan weiĂ nie, ob es im nĂ€chsten Semester weitergeht. Und wenn dann noch die RĂŒckmeldung der Dozentin ausbleibt, ob ĂŒberhaupt eine Finanzierung fĂŒr diese Stelle da ist, sitzt du plötzlich ohne Einkommen da.â Lehramtsstudentin Saskia Gagel
Was auf dem Papier nach Qualifikation aussieht â Tutorien geben, Studierende im Laborpraktikum begleiten, EinfĂŒhrung von StudienanfĂ€nger*innen â bedeutet fĂŒr sie ein Leben im Dauerprovisorium. âMan weiĂ nie, ob es im nĂ€chsten Semester weitergeht. Und wenn dann noch die RĂŒckmeldung der Dozentin ausbleibt, ob ĂŒberhaupt eine Finanzierung fĂŒr diese Stelle da ist, sitzt du plötzlich ohne Einkommen da.â
Saskia sagt, dass ihre VertrĂ€ge meist ĂŒber 30 oder 50 Stunden fĂŒr zwei Monate laufen. Diese Zeit muss sie selbst aufteilen. âIm Schnitt hatte ich vier Stunden PrĂ€senz pro Woche, plus eine Stunde fĂŒr Vor- und Nachbereitung. Alles andere lĂ€uft auf eigene Kosten.â
Selbst die Basics sind nicht sicher. âEinmal wurde mein Lohn einfach nicht ausgezahlt. Und keiner wusste, wer eigentlich zustĂ€ndig ist. Am Ende habe ich mich tagelang durchgefragt, bis sich endlich jemand verantwortlich fĂŒhlte und mein Geld ĂŒberwiesen wurde.â FĂŒr Saskia bedeutet die Situation: keine Planbarkeit, kein Sicherheitsnetz.
Selbstausbeutung vorausgesetzt
FĂŒr die Postdoc-Forscherin Johanna Fischer bedeutet Arbeit an der Uni Bremen: Immer auf der Kippe stehen. âMein zweiter Vertrag wurde am 18. Dezember unterschrieben â Beginn war der 1. Januar. Ich saĂ kurz vor Weihnachten da und wusste nicht, ob ich im neuen Jahr ĂŒberhaupt noch einen Job habe.â
Auch das kein Einzelfall, sondern System. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erlaubt Befristungen ĂŒber zwölf Jahre: sechs vor, sechs nach der Promotion. Danach ist Schluss â wer bis dahin keine Professur hat, fĂ€llt aus dem System. âEs ist eine Struktur, die Selbstausbeutung geradezu voraussetztâ, sagt Fischer. Schon in ihrer Promotion arbeitete sie faktisch Vollzeit, bezahlt wurde sie aber nur mit 65 Prozent. âIch habe mehr als 100 Prozent gearbeitet â und trotzdem nur zwei Drittel des Gehalts bekommen.â
âViele Aufgaben, die eigentlich Verwaltungsangestellte machen sollten, landen bei uns Wissenschaftler*innen.â ReiseantrĂ€ge stellen, Abrechnungen prĂŒfen, RĂ€ume buchen, Protokolle schreiben â Dinge, die sie neben Lehre und Forschung erledigt, weil es an Personal mangelt.
Unter dem Nimbus des âwissenschaftlichen Arbeitensâ sind Vertragsbedingungen ĂŒblich, die Selbstausbeutung fast selbstverstĂ€ndlich machen. âMan lernt von Beginn an, wie in der Wissenschaft gearbeitet wird â und macht das alles so mit.â Selbst wer erfolgreich promoviert, fleiĂig publiziert und Drittmittel einwirbt, bleibt von einem befristeten Vertrag zum nĂ€chsten abhĂ€ngig. Eine planbare Zukunft? Fehlanzeige. âMan baut Lehrveranstaltungen auf, steckt Jahre in Projekte, und nach zwei oder drei Jahren ist wieder alles vorbei.â Diese kurzen VertrĂ€ge, auch bei den studentischen HilfskrĂ€ften, zerstören jede Verbindlichkeit, verhindern den Aufbau von Strukturen.
âAuch fĂŒr Gewerkschaftsarbeit ist das ein echtes Hindernis. Jede Struktur, die du aufbaust, bricht schnell wieder wegâ, sagt AndrĂ© Bödecker, ver.di-Personalrat an der Uni Bremen. Er kennt das System von innen â und er kennt die SpielrĂ€ume. âDas Wissenschaftszeitvertragsgesetz erlaubt Kettenbefristungen. Aber wie man sie umsetzt, liegt an den Hochschulen. Man könnte JahresvertrĂ€ge als Regelfall durchsetzen â doch stattdessen werden in Bremen oft deutlich kĂŒrzere VertrĂ€ge angeboten. Als Interessenvertretung auch fĂŒr die SHKs sind wir dran, aber die schiere Anzahl dieser VertrĂ€ge ist eine Herausforderung.â
Bödecker hat einen unverstellten Blick auf die Lage: âWir bilden bundesweit das Schlusslicht. Auf zwei Wissenschaftler*innen kommt hier nur eine Person in Technik und Verwaltung â anderswo liegt das VerhĂ€ltnis bei eins zu eins.â Die Folgen: Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mĂŒssen Verwaltungsaufgaben ĂŒbernehmen, die eigentlich festangestelltes Personal leisten sollte. Gleichzeitig werden LĂŒcken mit studentischen HilfskrĂ€ften gestopft. âBis vor kurzem lag ihr Lohn sogar unter dem Mindestlohn.â Doch fĂŒr Bödecker ist klar: âDauertĂ€tigkeiten gehören in Dauerstellen â nicht an HilfskrĂ€fte, die nach zwei Monaten wieder raus sind.â
Besonders bitter findet er den aktuellen Entwurf fĂŒr den Wissenschaftsplan 2030 des Landes Bremen. Auf ĂŒber 140 Seiten komme die BeschĂ€ftigtengruppe Technik und Verwaltung genau einmal vor â in einem Nebensatz. âDas ist blanke GeringschĂ€tzung. Dabei mĂŒsste jeder wissen: Wenn diese Leute eine Woche lang die Arbeit niederlegen wĂŒrden, wĂŒrde hier gar nichts mehr laufen. Man kĂ€me nicht mal ins GebĂ€ude.â
So wird die Uni Bremen zum Spiegelbild: prekĂ€re Studijobs, ĂŒberarbeitete Wissenschaftler*innen, ein ausgedĂŒnnter Verwaltungsapparat. Offiziell gilt die Uni als âExzellenzstandortâ. Doch hinter den Kulissen zeigt sich derselbe Mechanismus wie im Rest der Stadt: Sparlogik, Unsicherheit â und ein System, das von der Selbstausbeutung seiner BeschĂ€ftigten lebt.
Dieser Beitrag ist eine Ăbernahme aus ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Einige Links wurden nachtrĂ€glich eingefĂŒgt.