Im gereizten Zeitalter – verlernen wir, respektvoll zu diskutieren?
In dieser Wochenschau geht es um unseren Umgangston und die Debattenkultur. An verschiedenen Stellen bin ich auf das Thema gestoßen. Dirk von Gehlen hat auf Threads den folgenden Post abgesetzt: „Fotograf:innen! Macht doch mal eine Bildserie zum Thema „Eltern am Handy am Spielplatz“. Das führte dann zu einem wahren Drama. Erst nahmen es viele Eltern persönlich (der getroffene Wauwau …), dann wurde zurückgeschossen und beleidigt (klassisch Internet!) und schließlich wurde einfach dichtgemacht (Shut up and disappear!). Alles persönlich nehmen und sofort persönlich werden – mir scheint, dass das heute gängig ist.
Alle sind sofort gereizt
Chris Buggisch berichtet über Erfahrungen beim Radfahren oder bei der Müllentsorgung in der Landschaft, wo man auch mal schnell eine pampige Antwort erhält, wenn man darum bittet, doch Platz zu machen oder den Müll doch in das dafür vorgesehene Behältnis zu werfen. Zeichen der Zeit hat er als Titel seines Beitrags gewählt.
Auch ich beobachte, dass Rücksichtnahme und Respekt gefühlt nachgelassen haben. Jeder pöbelt erst einmal den anderen an, den Radfahrer, den Autofahrer, den Fußgänger, statt vernünftig miteinander in einem normalen, zivilisierten Umgangston umzugehen. Jeder ist erst einmal gereizt. Viele sind mehr als nur gereizt, auch gewalttätig … Wir leben im gereizten Zeitalter und ich bin sehr gespannt, wie das weitergehen soll. Dirk bemerkt in seinem Artikel, dass ihm auf Threads vor allem Eltern „geantwortet“ haben, so von wegen „Vorbild“ …
Kritik an Klöckner und Söder: Ist Habeck zu weit gegangen?
Und dann hat ja noch Robert Habeck der taz ein Interview gegeben und kräftig gegen Julia Klöckner und Markus Söder ausgeteilt: „Julia Klöckner hat die Gesellschaft gespalten. Ob mutwillig oder aus Dämlichkeit, weiß ich nicht. Sie war noch nie in der Lage, Dinge zusammenzuführen. Sie hat immer nur polarisiert, polemisiert und gespalten. Insofern war von Anfang an klar, dass sie eine Fehlbesetzung ist.“ Und: „Dieses fetischhafte Wurstgefresse von Markus Söder ist keine Politik.“
Der Markus lässt das natürlich nicht auf sich sitzen und wünscht Habeck dorthin, wo der Pfeffer wächst: „Geh mit Gott – Hauptsache, weit weg.“ Klöckner, deren Vergleich zwischen dem rechtspopulistischen Portal Nius und der taz wirklich danebenliegt, blieb auffallend ruhig und sagte zur FAZ, dass es ihr durchaus Sorgen mache, wenn sich Demokraten der Mitte absprechen, demokratisch zu sein.
Julia Naue von T-Online meinte dazu, dass Habeck mit solchen Verbalattacken beitrage, was er selbst beklagt: einer Polarisierung in Deutschland. Sie schreibt von schlechtem Stil und Verunglimpfung von politischen Gegnern. Ihr Chef Florian Harms legte dann noch nach und spricht von Häme statt Humor, Hohn statt Hintersinn und vermisst den Respekt. Klartext sei gut, aber Klartext ohne Respekt sei nur Krawall. Und die Zeitung mit den 4 Buchstaben, selbst ein Musterbeispiel für Zurückhaltung und feinen Ton, schreibt gar von „Habecks Pöbel-Abgang“ …
Ich bin zugegebenermaßen zwiegespalten. Die Kritik an Klöckner in der Sache teile ich, auch weil ich politisch anders aufgestellt bin. Den Meinungswendehals Söder und seine Bierzeltrhetorik mag ich, wenig überraschend, auch nicht besonders. Ist also Habeck über das Ziel hinausgeschossen? Waren ein Strauss, ein Wehner oder eine Schmidt-Schnauze nicht sogar noch direkter?
Ich bin mir also nicht sicher, ob Habeck wirklich das Niveau gesenkt hat, wie es Harms schreibt. Eher bin ich bei Jan Skudlarek, der in seinem Newsletter dafür plädiert, im Zeitalter von Populismus und Rechtsnationalismus lautstark hörbarer Verteidiger der Demokratie zu sein. Zudem finde ich, dass Habeck zwar deftig „verwurstelt“, aber keinen Hass und keine Hetze verbreitet.
Welche Regeln sollten wir in Diskussionen anwenden?
Norbert Eder fordert in seinem Artikel, dass wir uns mehr auf Positives konzentrieren und „dieses Rumgepöble, Gejammere und sinnlose Rumgeplärre viel öfter ignorieren“ sollten. Ja, vielleicht sollten wir die Sprüche eines Trump und ähnlicher Konsorten viel öfter unkommentiert lassen, statt ihm mehr Reichweite zu geben.
Doch andererseits ist es wichtig, klare Kante zu zeigen, gerade auch gegenüber einer Julia Klöckner. War früher wirklich alles besser, haben wir uns verändert oder werden wir alt, wie Chris in seinem Beitrag schreibt? Sind alle wirklich gereizt, wie ich es oft empfinde? Wie scharf darf Sprache sein, im Miteinander im Netz und auf der Straße, aber auch in der politischen Auseinandersetzung, in Diskussionen oder auch hier im Blog? Sollte nicht Im „normalen“ Dialog – ob digital oder real – die alte Vorgehensweise gelten, dass man nichts sagt oder schreibt, was einem selbst beleidigen und verärgern würde? Doch wie scharf formuliert man gegenüber wirklichen Gegnern, gegenüber Radikalen und Demokratiefeinden? Was meint ihr? Welche Regeln sollte man sich auferlegen?
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