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Man erzählt immer wieder von anderen, um von sich selbst zu erzählen. Man zitiert Passagen aus Romanen die man gelesen hat, man berichtet von Kunstwerken und vielleicht sogar von Studien. Man erzählt von Menschen, die so ganz anders sind als man selbst, oder so wie man gerne wäre. Und auf diese Weise bereitet man es vor, das große Gemurmel über sich selbst. Man hofft vielleicht, dass es so verständlich wird. Dass es auf diese Weise gelingt das eigene Leben und Denken und Scheitern einzuordnen in ein größeres Gewebe.
Die Geschichten der anderen als Vorlage, als Blaupause, als eine Art Gerüst, die ich mit dem Fleisch meiner eigenen Geschichte fülle.
Schreibend und lesend, lesend und schreibend, versuche ich den Unterschied zu finden zwischen einem Lamento und dem aufrichtigen Versuch meine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die erklärt warum manche Dinge so geschehen sind wie sie eben geschehen sind.
All unser Kummer hängt in der Familie fest, seine Wurzeln sehen wie Blutbahnen aus, schreibt Fredrik Hagen. Und manche dieser Bahnen sieht man oder man kann sie jedenfalls benennen, aber es gibt auch andere Wurzeln, andere Blutbahnen, die unsichtbar sind. Die dank meiner Feigheit lebenslang unsichtbar geblieben sind. Die längst kein Geheimnis mehr sind, wie früher als ich noch jung war und meine Mutter, diejenige, die mich groß gezogen hat, noch lebte, sondern nur noch ein Versäumnis, ein leerer blinder Fleck, ein Fehlen.
#Familie #Geschichte #Kummer #Wurzeln