Überraschend, aber wahr: Grok ist auf Twitter nicht komplett sinnlos
Was nützt es, ein soziales Netzwerk mit einer KI auszustatten? Die Frage stellt sich, wenn Meta AI auf Facebook und Instagram zwangsläufig in die Rolle des Schiedsrichters gedrängt werden wird. Genauso diskussionswürdig ist Groks Rolle auf Twitter. Zur Erinnerung: Grok ist die künstliche Intelligenz von Elon Musks Firma xAI. Sie kann separat über grok.com genutzt werden und seit März 2024 ist sie auch bei Twitter (auch bekannt als X) integriert. Ursprünglich konnten sie nur Leute mit Premium-Abo nutzen. Heute ist sie allgemein zugänglich.
Grok tritt als User @grok auf und kann direkt angesprochen werden. Also wie die Menschen (und undeklarierten Russen-Bots auf der Plattform). Nochmals stellt sich die Frage: Warum ist das nötig? Sollte ein soziales Medium nicht den menschlichen Interaktionen vorbehalten bleiben?
Die Menschheit hat nicht auf Grok gewartet
Es macht sich Ablehnung zumindest von einem Teil der Leute bemerkbar. Die fragen zunehmend nachdrücklich, ob sich die künstliche Intelligenz wirklich überall einmischen muss? Es leuchtet ein, warum das aufdringlich wirkt. Ich spüre den Unmut selbst auch.
Dummerweise hat diese Medaille eine zweite Seite: Zu meiner Überraschung sind Interaktionen der Anwenderinnen und Anwender auf Twitter mit Grok im Schnitt sinnvoller als erwartet. Leute fragen Grok nach einer Erklärung, wenn sie ein Meme oder eine elaborierte Aussage nicht verstanden haben. Die ist oft brauchbar und meist sachlicher als die Antwort, die der Urheber des Ursprungs-Tweets abgeben würde. Typischerweise hätte man bei dem mit einer Nachfrage eine schnoddrige Reaktion im Stil von «man solle halt zu einer Plattform wechseln, der man geistig gewachsen sei» provoziert.
Und mir ist eine zweite praktische Einsatzmöglichkeit eingefallen:
Ein «Assessment» einer Twitter-Userin.
Wir können uns von Grok ein Psychogramm eines Users oder einer Userin erstellen lassen. Das geht simpel mit einer Frage wie «What is the political orientation of @FreckledLiberty?». Im Fall des hier beispielhaft genannten Accounts überzeugt die Antwort. Die Person wird als libertär geschildert und die Aussage u.a. mit einem Link zu einem «Steuern sind Diebstahl, die Regierung ist korrupt»-Tweet untermauert. Es gibt auch Links zu externen Webdiensten wie polarizationlab.com und whotwi.com, die leider allesamt nicht mehr funktionieren, weil Twitter 2023 die Programmschnittstellen (APIs) kappte.
Grok kommt MrClicko nicht wirklich auf die Schliche
Die Beurteilung ist natürlich immer gleich gut. Natürlich wollte ich auch wissen, was Grok von mir hält. Die Beurteilung von @MrClicko ist irreführend. Grok hält fest, meine politische Ausrichtung könne nicht genau bestimmt werden, weil ich mich selten politisch äussern würde. Das stimmt, aber allein aus der Tatsache, dass ich oft Beiträge von Auschwitz Memorial retweete, wären gewisse Schlüsse zulässig. Grok dichtet mir auch eine Nähe zur Game-Szene an, die schlicht falsch ist. Vielleicht rührt die von meiner Laufbahn als Entwickler des Spiels «Clickomania» her; aber es könnte auch eine Halluzination sein.
Aber machen wir doch ein paar weitere Proben aufs Exempel:
Was war der prägnanteste Tweet von @MikeMuellerLate im letzten halben Jahr?
«Prägnant» sei eine subjektive Kategorie, moniert Grok. Er nominiert dann aber diesen Tweet hier:
Der Föderalismus erschöpft sich nicht im Ständemehr.
— Mike Müller (@MikeMuellerLate) May 1, 2025
Natürlich hat Grok recht, dass es zu dieser Frage völlig zu recht unterschiedliche Antworten gibt. Ich hätte den folgenden Tweet genommen, aber Groks Wahl ist auch okay.
Was ist besser? Gesichert rechtsextreme Parteien wie die AfD oder ungesicherte wie die Aargauer SVP?
— Mike Müller (@MikeMuellerLate) May 4, 2025
Was sind die drei Hauptthemen von @karpi?
Grok zählt Künstliche Intelligenz (KI) und Technologie, Satire und Comedy sowie Familienleben und Vatersein. Das sind genau die Dinge, die ich (ohne vertiefte Nachforschungen) auch genannt hätte. Wiederum kommen nicht nur die Tweets selbst, sondern auch Medienberichte (wie SRF) und Karpis eigene Website zum Zug.
Ist @PicturesFoIder ein Engagement-Farmer?
Meine Analyse lässt keinen Zweifel daran, dass die Antwort ja lauten muss. Grok erwähnt, dass einige Twitter-User diese Beschuldigung erhoben haben:
Diese Anschuldigungen deuten darauf hin, dass einige Nutzer die Inhalte von @PicturesFoIder als manipulativ oder darauf ausgelegt empfinden, Interaktionen zu maximieren, ohne echten Mehrwert zu bieten.
Grok weist auch darauf hin, dass Elon Musk solche Praktiken als unerwünscht bezeichnete. Vielleicht deswegen wiegelt die KI daraufhin ab:
Solche Muster können auch einfach auf einen populären Account mit einer aktiven Community hinweisen. Ohne konkrete Beispiele für Inhalte oder Beweise für Taktiken wie den Einsatz von Bots oder gekauften Interaktionen bleibt die Anschuldigung spekulativ.
Wie ist der Stil von @digichr?
Grok nennt mein Radiogspändli zu Recht einen «SAP-Insider» und seinen Stil als «direkt, technisch und humorvoll». Das stimmt, lässt aber ausser Acht, dass in seinen Tweets bisweilen auch Beleidigungen wie «Elon-Lutscher» fällt.
Ist @DanieleGanser ein Russen-Bot?
Nein, Daniele Ganser ist kein Russen-Bot. Er ist ein Schweizer Historiker und Publizist, bekannt für seine kontroversen Thesen zu geopolitischen Themen wie NATO-Geheimarmeen, 9/11 und dem Ukraine-Krieg. Kritiker werfen ihm vor, Verschwörungstheorien zu verbreiten und russische Narrative zu unterstützen, etwa durch seine Darstellung des Euromaidan als US-Putsch oder seine Relativierung russischer Verantwortung für Kriegsverbrechen wie in Butscha. Einige bezeichnen ihn als «Putin-Versteher» oder Propagandisten, da er Quellen wie RT Deutsch nutzt und russische Positionen unkritisch darstellen soll. Dennoch ist er eine reale Person mit einer akademischen Vergangenheit, die sich durch Vorträge und Bücher finanziert, und kein automatisierter Bot.
Ist @nebelspalter lustig?
Grok liefert eine Analyse in drei Abschnitten, die nicht anhand von Tweets getroffen wird, sondern hauptsächlich auf Medienberichten von SRF, Sonntagszeitung und Persönlich basiert. Fazit:
Wenn du schwarzen Humor oder konservative Gesellschaftskritik magst, könntest du den «Nebelspalter» lustig finden. Ansonsten könnten die Inhalte eher befremdlich wirken.
Ich frage nach: «Was ist dein Urteil, wenn du dich nur auf die letzten Tweets beziehst?»
Basierend auf den jüngsten Posts auf X über den «Nebelspalter», wie z. B. der Kritik von @JakobSchaefr vom 1. Mai 2025, scheint der aktuelle Humor des Magazins nicht gut anzukommen.
«Es kommt darauf an.»
Fazit: Nützlich, aber …
Ich komme zum Schluss, dass die KI in den sozialen Medien nicht grundsätzlich abzulehnen ist. Entscheidend ist, wie sie auftritt. In der Rolle des diskreten Erklärbärs schätze ich sie, und die Auskünfte über ansonsten schwer fassbare Accounts sind extrem nützlich.
Bis jetzt sind diese Twitter-Assesments qualitativ zu schlecht. Das liegt vermutlich an der Datenlage: Grok scheint nicht über Insiderwissen zu verfügen, d.h. nicht auf Daten im Backend von Twitter zugreifen zu können, z.B. was Meldungen und frühere Sperungen angeht. Natürlich sollte der Bot kein Risiko für die Privatsphäre darstellen. Abgesehen davon muss er ein knallhartes Urteil aussprechen dürfen.
Konkret zum oben erwähnten Fall von @PicturesFoIder: Falls dieser Account über die Beteiligung an den Werbeumsätzen finanzielle Interessen verfolgt, ist dieser Aspekt in der Analyse zu erwähnen. Natürlich wäre es noch besser, wenn das im Profil ausgewiesen würde. Doch falls es gute Gründe geben sollte, dort keine Transparenz herzustellen, könnte Grok auf Anfrage einen dezenten Hinweis fallen lassen.
Weitere Dinge liegen auf der Hand:
- Eine summarische Einordnung der Nutzerstatistiken. Zum Beispiel: «Das ist ein mittelgrosser Account, der vor allem im deutschsprachigen Raum regelmässig Interaktionen generiert.»
- Gut gefiele auch eine Kurz-Biografie: «Dieser Account wurde 2015 eröffnet und setzte im Jahr 2022 diesen viralen Tweet (Link dorthin) ab.»
- Echt hilfreich wären Datenpunkte, die Rückschlüsse auf die Umgangsformen erlauben: «Dieser Account wurde in letzter Zeit von vielen Usern blockiert.»
- Und es hätte zumindest auf vernünftige User eine disziplinierende Wirkung, wenn auf (mögliche) Verstösse hingewiesen würde: «Dieser Account wurde häufig wegen rassistischer Äusserungen gemeldet.»
Das wäre ein Werkzeug im Dienst medienkompetenter User!
Beitragsbild: «Sie haben da eine braune Stelle an ihrem Zahn … äh, Twitter-Profil (Photo By: Kaboompics.com, Pexels-Lizenz).
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