Goldener Käfig „Sovereign Cloud“: Wie unabhängig wird Europa wirklich von Microsoft, Google & Co.?
Es ist sehr auffallend, wie insbesondere Microsoft in den vergangenen Wochen versucht, sich wieder möglicherweise verloren gegangenes Vertrauen zurück zu erobern. Nachdem E-Mail-Konten des Internationalen Strafgerichtshofs einfach mal so auf Anweisung gesperrt wurden, gab es entsprechend schlechte Presse für den Hilfssheriff Microsoft. Das führte dazu, dass Microsoft Vize Brad Smith schnell zurückruderte. Man habe Verfahren gefunden, Anordnungen juristisch zwar zu entsprechen, aber keine Kundenkonten stillzulegen. Und jetzt kam auch von Microsoft die Ankündigung einer erweiterten Sovereign Cloud, bei der – so titelt heise – nicht einmal Microsoft selbst Daten einsehen könne.
Auch die anderen US-Hyperscaler schlagen in diese Kerbe. Nach all diesen Ankündigungen rund um „Sovereign Clouds“ von Microsoft, Google und AWS frage ich mich: Ist das nun der große Befreiungsschlag für Europas digitale Souveränität – oder doch nur ein weiteres Marketingmanöver, das die alten Abhängigkeiten in neuem Gewand kaschiert? Die Debatte ist komplex, aber eines ist klar: Wer sich von den Versprechen der US-Konzerne blenden lässt, riskiert, dass Europa auf Dauer im digitalen goldenen Käfig bleibt1.
Wie souverän ist „Sovereign“ wirklich?
Die US-Hyperscaler haben die Zeichen der Zeit erkannt. Mit Milliardeninvestitionen, lokalen Rechenzentren und europäischen Tochterfirmen versuchen sie, das Vertrauen von Behörden und Unternehmen zurückzugewinnen. AWS plant eine „European Sovereign Cloud“, die komplett von EU-Bürgern in Deutschland betrieben werden soll. Microsoft setzt auf Sovereign Azure, inklusive Verschlüsselungskontrolle durch europäische Kunden und Partnerlösungen wie Delos Cloud. Google wiederum gewinnt die Bundeswehr als Referenzkunde – weil SAP-Prozesse angeblich nur bei den US-Riesen laufen.
Doch wie souverän ist das alles wirklich? Die Infrastruktur bleibt US-Technologie, die Software US-Code, und – das ist der entscheidende Punkt – die rechtlichen Rahmenbedingungen bleiben US-amerikanisch. Der CLOUD Act erlaubt US-Behörden weiterhin Zugriff auf Daten, selbst wenn sie in Europa gespeichert sind. Und dass politische Willkür – siehe die oben erwähnte Episode rund um den Internationalen Strafgerichtshof und Donald Trump – im Zweifel zum „Kill Switch“ werden kann, ist längst keine Verschwörungstheorie mehr, sondern Realität.
Funktionalität vs. Souveränität: Europas Dilemma
Und ja: Die US-Hyperscaler sind technisch oft noch immer überlegen. Sie bieten ein riesiges Service-Portfolio, unbestritten Innovationskraft und potentielle Wettbewerbsvorteile im Bereich Künstliche Intelligenz. Das macht die Entscheidung für viele Unternehmen und Behörden einfach – und vor allem bequem. Diese Bequemlichkeit insbesondere gegenüber Microsoft zeichnet gerade uns Deutscher besonders aus.
Zwar wünschen sich laut Umfragen 82 Prozent der deutschen Unternehmen große Cloud-Anbieter aus Europa, und 97 Prozent achten auf das Herkunftsland des Providers. Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit bleibt frappierend: Viele sind nicht bereit, für Souveränität auf Komfort oder Features zu verzichten oder gar einen höheren Preis zu zahlen.
Die europäischen Alternativen stehen vor Herausforderungen: Der Innovationsrückstand ist groß, die Abhängigkeit von US-Hardware bleibt bestehen, und der politische Wille, wirklich konsequent umzusteuern, ist oft nur in Sonntagsreden zu hören. Trotzdem gibt es Bewegung: Schwarz Digits – ja, die von Lidl und Kaufland – wollen Europas souveräner Hyperscaler werden. Neben Schwarz Digits zählt auch die IONOS Cloud (1&1) und die Open Telekom Cloud zu den wichtigsten deutschen Cloud-Anbietern. OVH Cloud aus Frankreich setzt auf strenge europäische Zertifizierungen. Schleswig-Holstein und andere Bundesländer investieren in Open-Source-Lösungen, um sich schrittweise aus dem Vendor-Lock-in zu befreien.
Warum es sich lohnt, europäisch zu investieren
Die digitale Souveränität ist mehr als nur die Frage, dass Trump E-Mail-Konten sperren lässt oder die US-Geheimdienste Daten einsehen wollen. Das ist wichtig, aber digitale Souveränität ist vor allem auch ein wirtschaftlicher und geopolitischer Imperativ.
Wer über digitale Souveränität redet, muss auch über Geld reden. Und zwar über sehr viel Geld. Die deutschen Ausgaben für Cloud-Dienste und Software-Lizenzen bei US-Hyperscalern wie Microsoft, Amazon und Google steigen Jahr für Jahr – und das nicht zu knapp. Blicken wir auf die Gesamtausgaben für Cloud-Dienste: 286 Millionen Euro gab der Bund 2024 für Cloud-Services aus, eine Verdopplung innerhalb weniger Jahre. Für das Jahr 2025 werden sogar mindestens 344 Millionen Euro erwartet. Die Zahlen für Wirtschaft und Länder kommen noch dazu – und die sind mindestens genauso hoch, wenn nicht höher.
Was wäre, wenn wir nur einen Teil davon umlenken?
Stellen wir uns vor, wir würden nur einen Bruchteil dieser Summen – sagen wir, 20 Prozent – gezielt in deutsche und europäische Cloud-Anbieter investieren. Das wären allein auf Bundesebene rund 57 Millionen Euro jährlich, die direkt in heimische Innovation, Infrastruktur und Arbeitsplätze fließen könnten. Hochgerechnet auf den gesamten öffentlichen Sektor und die Wirtschaft reden wir schnell über mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr. Jeder Euro, der nicht nach Redmond oder Seattle überwiesen wird, stärkt die europäische Wert
Doch wer sich weiterhin auf US-Anbieter verlässt, zahlt nicht nur Milliarden für Lizenzen, sondern riskiert auch die eigene Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten. Die Lehre aus der Energieabhängigkeit von Russland sollte Warnung genug sein: Wer die Kontrolle über kritische Infrastruktur aus der Hand gibt, verliert im Zweifel mehr als nur Geld.
Europäische Lösungen sind nicht per se schlechter – sie sind oft nur weniger bequem oder weniger bekannt. Open Source, lokale Cloud-Angebote und gezielte politische Förderung könnten die Lücke schließen, wenn der Wille da ist. Es braucht eine strategische, mutige Investitionspolitik, die nicht nur auf kurzfristige Effizienz, sondern auf langfristige Unabhängigkeit setzt.
Fazit: Nicht blenden lassen – Souveränität bleibt eine Frage der Haltung
Die „Sovereign Cloud“-Angebote der US-Hyperscaler mögen Fortschritte bringen, echte Unabhängigkeit bieten sie nicht. Solange Technologie, Kontrolle und Rechtsprechung nicht wirklich europäisch sind, bleibt das Versprechen der digitalen Souveränität ein Etikettenschwindel. Es ist an der Zeit, dass Politik und Wirtschaft den Mut aufbringen, konsequent in eigene Lösungen zu investieren – auch wenn das unbequem ist und Geduld erfordert.
Wir pumpen jedes Jahr Hunderte Millionen Euro in die Kassen der US-Hyperscaler – und zementieren damit unsere digitale Abhängigkeit. Wer wirklich digitale Souveränität will, muss bereit sein, einen Teil dieser Summen umzulenken. Nicht als Wohltätigkeit, sondern als strategische Investition in die eigene Zukunft. Denn jeder Euro, der in europäische Lösungen fließt, ist ein Schritt raus aus dem goldenen Käfig – und ein Beitrag zu echter Unabhängigkeit und Innovationskraft.
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