Richtungsstreit: Verabschiedet sich die AfD von Martin Sellners Remigrations-Konzept?
Maximilian Krah zu Gast in Schnellroda bei Götz Kubitschek und Ellen Kositza.
(Quelle: Screenshot)
Seit Mai wirbt der neurechte Stratege Götz Kubitschek für einen Showdown in Wild-West-Manier: Maximilian Krah vs. Martin Sellner. Der eine AfD-Spitzenpolitiker und Autor in Kubitscheks Antaios-Verlag, der andere, ehemalige Kopf der Identitären Bewegung im deutschsprachigen Raum und ebenfalls Autor im Antaios-Verlag. Doch dazu wird es nicht kommen. Die Absage verkündete Kubitschek betont nüchtern auf seinem Blog: „Martin Sellner und Maximilian Krah werden im Rahmen des Antaios-Sommerfests in Schnellroda keine Debatte auf öffentlichem Podium führen“. Also nur eine Absage eines Streitgesprächs? Mit Nichten!
Die Absage eines Streitgesprächs
Im Richtungsstreit geht es um viel mehr: Ob Schnellroda als „geistiges Vorfeld der AfD“ fortbesteht, die „Mosaik-Rechte“, ein wesentlicher Erfolgsfaktor des rechtsextremen Lagers, zerbricht und vor allem, ob die AfD ihr menschenfeindliches „Remigration-Konzept“ entschärft, um bessere Chancen zu haben, ein mögliches Verbotsverfahren zu überstehen. Aber der Reihe nach.
Die Streitlinie
Vergangene Woche entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig, dass das rechtsextreme Compact-Magazin nicht verboten wird. „Das Grundgesetz garantiert auch den Feinden der Freiheit die Meinungs- und Pressefreiheit“ urteilte das Gericht. Ein Sieg für das Compact-Magazin, die AfD und die Neue Rechte – oder doch vielleicht ein Pyrrhussieg? Denn anders als in den Urteilsbegründungen, wie vom OVG Münster, die die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz als zulässig bewertete, benennt das BVerwG Leipzig in ihrer Pressemitteilung explizit das Remigrations-Konzept von Martin Sellner als Verstoß gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip. Bislang taten dies Gerichte nur implizit.
Das könnte einen Wendepunkt darstellen und für die AfD mitunter existenzgefährdend sein. Denn die AfD bezieht sich explizit auf dieses Konzept von Sellner. Während Alice Weidel diesen Bezug auf Sellner auf dem AfD-Bundesparteitag im Januar diesen Jahres eher salopp ausdrückte: „Dann heißt es eben Remigration“, benennen es andere AfD-Funktionäre unmissverständlich.
Die AfD und das Sellner-Konzept.
Bei einer „Remigrations-Konferenz“ der extremen Rechten in Mailand betonte die brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete Lena Kotré in ihrem Vortrag explizit, dass die AfD das Remigrations-Konzept von Sellner übernommen habe und dankte ihm dafür ausdrücklich. Früher habe man über solche Themen nur hinter verschlossenen Türen gesprochen, nach der „Potsdamer Geheimkonferenz“ sei es jetzt öffentlich möglich.
Lena Kotré ist nicht einfache Landtagsabgeordnete der AfD, die Rechtsanwältin ist innenpolitische Sprecherin der AfD-Brandenburg und neuerdings auch remigrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Wenige Tage nach ihrem Auftritt in Mailand erläuterte sie auf einer Saalveranstaltung in Berlin das „Remigrations-Konzept“ ihrer Partei. Dort betonte sie, dass „Remigration“ Kern der Politik der AfD sei. Es sei ein Konzept zum „Schutz und Wiederherstellung der ethnokulturellen Identität Europas“, so Kotré.
Die AfD definiere Remigration als „Rückführung von Menschen, die kein Recht haben hier zu sein“. Darunter fallen nach Ansicht der AfD auch „nicht assimilierte Staatsbürger“. „Diese Menschen müssen auch das Land verlassen“, so Kotré in ihrem Vortrag. Ganz explizit sagt sie, auf die Gruppe deutscher Staatsbürger*innen bezogen, die sich loswerden will: „Freiwillige Ausreise ist hier nicht das Mittel der Wahl“. Das ist eine Drohung.
Krahs Positionsänderungen
Nach Maximilian Krahs Ansicht sind Positionen wie die von Kotré und vielen Mitgliedern der AfD, die nicht mit der Verfassung in Einklang stehen, und die die Gefahr eines AfD-Verbots erheblich erhöhen, nach den Urteilen aus Münster und Leipzig eindeutig belegt. Und das sagt er laut, auch gegenüber Medien, die im eigenen Lager als „Feindmedien“ angesehen werden – wie t-online und Correctiv. Das hat ihm im rechtsextremen Lager den Vorwurf des „Feindzeugen“ eingebracht, einer der schlimmsten Anwürfe, die man aus dem eigenen Lager bekommen kann. Doch Krah verstummt nicht angesichts dieser Vorwürfe – im Gegenteil.
Legal oder illegal?
Ein Streitgespräch mit Götz Kubitschek brachte den innerrechten Konflikt, vielleicht ungewollt, auf den Punkt. Krah nannte drei Punkte, in denen seiner Meinung nach die AfD ihre Position anpassen müsse, um nicht verboten zu werden. Er bezog sich dabei explizit auf das Gerichtsurteil des OVG Münster, die Klage der AfD gegen die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz verwarf. Die Punkte, in denen die AfD ihre Positionen anpassen ,seien demnach die „Gleichheit aller Staatsbürger, Religionsfreiheit auch für Muslime und keine allgemeine und umfassende Staatsfeindlichkeit“, so Krah. Sein Fazit: „Also entweder springt man über die drei Stöckchen, die ich nicht für zu hoch halte oder man sagt okay Illegalität“, so Krah. Dem entgegnete Kubitschek: „Also diese Stöckchen sind natürlich viel zu hoch“.
Krahs Kurswechsel
Krah war vor kurzer Zeit auch noch Anhänger des Remigrations-Konzept von Martin Sellner. Seinen Sinneswandel begründet der Anwalt mit der Lektüre des Urteils des OVG Münster und ganz aktuell mit dem Leipziger BVerwG-Urteil. Diese Abkehr in Kernpositionen zusammen mit Vorwürfen, er habe Martin Sellner mit Hilfe „feindlicher Medien“ öffentlich juristisch angezählt, führte zu einer Eskalation im Streit. Dieser hatte sich seit Wochen, insbesondere auf X hochgeschaukelt. Das Streitgespräch am kommenden Wochenende in Schnellroda sollte, so hofften viele, den Streit abmildern. Nach der Absage ist jetzt das Gegenteil eingetreten. Nicht wenige im rechten Lager sind der Meinung, dass Martin Sellner seinen Mentor Götz Kubitschek nur vorgeschickt habe, weil er sich dem Duell mit Krah nicht mehr gewachsen sah. Sie werfen Sellner vor zu kneifen.
Die Reaktionen auf seine Absage bei X zeigen, dass er im eigenen Lager an Reputation eingebüßt hat. Sellner schlug daraufhin Krah vor, in seiner Sendung auf X das Gespräch zu führen. Das schlug Krah aus: „Ausgemacht war Sommerfest. Ich stehe dazu. Punkt“. Seitdem geht es in der rechtsextremen Bubble heiß her. Auch Kubitschek wird massiv kritisiert. Der AfD-nahe Blogger und Kubitschek-Vertraute Alexander Wallasch kritisiert: „Krah wird hier [gemeint ist die Stellungnahme zur Absage des Streitgespräches von Kubitschek, J.R.] markiert, als sei er schon mit einem Fuß ein Verräter […] Erstaunlich ist an diesem Vorgang vor allem, dass Kubitschek damit öffentlich wird. Der Verleger will offenbar nicht, dass Krah, hinter den gemeinsamen Kulissen weiter Boden macht“, mutmaßt Wallasch.
Momentan sieht es so aus, als gäbe es in dem Disput nur Verlierer. Der größte Verlierer könnte Götz Kubitschek und sein Bauernhof in Schnellroda sein. Schnellroda war nicht nur in seiner Wahrnehmung ein rechtsextremer Debattenort, ein „geistiges Vorfeld“ der AfD. Hier trifft sich die Mosaik-Rechte, also eine heterogene parlamentarische wie parteiunabhängige extreme Rechte, die strategische Debatten führt und in einer informellen Arbeitsteilung am Systemsturz von rechts arbeitet. Streit war stets Teil der Mosaik-Rechten, aber nicht auf offener Bühne und in diesem Ausmaß. In letzter Zeit häufen sich die unversöhnlichen Streits im Umfeld von Schnellroda. Der lautstarke Bruch vom enfant terrible ,Erik Ahrens, mit Kubitschek kann vielleicht noch wohlwollend als „Betriebsunfall“ verbucht werden. Aber auch der AfD-Chef von Thüringen Björn Höcke und der AfD-Vize von Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, beide aus dem Schnellroda-Kosmos, trugen ihren Streit um das Preussenfest öffentlich aus. Auch hier scheint das Tischtuch zerschnitten. Und jetzt der Streit Krah, Sellner, Kubitschek. Das Projekt „Mosaik-Rechte“ und Schnellroda als „geistiges Vorfeld“ der AfD droht dauerhaft Schaden zu nehmen. Aus demokratischer Sicht eine durchaus positive Entwicklung. Und auch, dass der Richtungsstreit, gerade in der AfD, erst am Anfang stehen dürfte.
AfD vor der Richtungsentscheidung
Nach dem OVG-Urteil von Münster und dem BVerwG-Urteil zum Compact-Magazin, muss die AfD sich entscheiden, ob sie an ihrem Remigrations-Konzept, wie es Lena Kotré diese Tage in Berlin präsentiert hat, weiter festhält und wie sie es mit Krah und Sellner hält. Der Kreisverband der AfD Düsseldorf hat bereits eine für den 18. August terminierte öffentliche Veranstaltung mit Martin Sellner, nach Druck vom Bezirks- und Landesverband, abgesagt.
Es ist zwar anzunehmen, dass es von Seiten der Bundesspitze der AfD keine explizite öffentliche Distanzierung zu Sellner und seinem Remigrations-Konzept geben wird, denn das würde zu viele in der Partei vor den Kopf stoßen. Es ist aber gut möglich, dass Sellner noch ausdrücklicher zu einer persona non grata wird. Einladungen aus der AfD wird er wahrscheinlich so schnell nicht mehr bekommen oder eben nur von denjenigen, die damit in Opposition zum Kurs der Bundesspitze gehen wollen.
Dann könnte der Konflikt in der AfD eskalieren. Denn Ziel der Parteispitze wird es sein, sanfte Kursänderung beim Remigrations-Konzept vorzunehmen, aber bitte leise, dass es an der Basis niemand mitbekommt. Doch womöglich ist nach dem Compact-Urteil mit deutlichem Bezug zum Remigrations-Konzept von Martin Sellner das Zeitfenster verstrichen, indem die AfD sich nur halbherzig von dem Konzept verabschieden kann. Um Gerichte, auch in einem Verbotsverfahren, zu überzeugen, dass man dem Konzept nicht mehr anhängt, bedarf es mitunter eines Parteitagsbeschlusses mit klarer Mehrheit. Solch ein Beschluss hätte aber immensen innerparteilichen Sprengstoff in sich. Es könnte mal wieder unruhig in der AfD werden.
Weitere Konfliktlinien
Der Richtungsstreit um die Positionierung zu Sellners Remigrations-Konzept ist vielleicht die existentiellste Auseinandersetzung in der AfD, aber bei weitem nicht die einzige. Am 5. Juli wird eine Entscheidung des Schiedsgerichts der AfD-NRW erwartet, ob der Bundestagsabgeordnete und als „das freundliche Gesicht des NS“ bekannte Matthias Helferich aus der Partei ausgeschlossen wird. Daneben gibt es aktuell sich zuspitzende Auseinandersetzungen um die Positionierung zu den USA unter Trump und zu Israel. Auch in einigen Landesverbänden, wie in NRW und Schleswig-Holstein, knirscht es beträchtlich. Es könnte ein heißer Sommer für AfD und ihr Vorfeld werden.
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