Von Siegern lernen
Irritierendes über Wahlbeteiligung in NYC
Übereinstimmend und wenig präzise melden deutsche Massenmedien, und solche, die es mal waren, von der Bürgermeisterwahl in New York City “die höchste Wahlbeteiligung seit 50 Jahren”, was übereinstimmend als historischer Erfolg des Wahlsiegers Zohran Mamdani gewertet wird. Über “2 Millionen” sollen ihre Stimme abgegeben haben. Das seien – halten Sie sich fest – ganze 45% gewesen. Wieviele Wahlberechtigte mag es in NYC geben? Weniger als 5 Mio.? Wikipedia meldet aus 2020 eine Einwohner*innen*zahl von 8,8 Mio. Also knapp 4 Mio. Kinder und andere Nicht-Wahlberechtigte?
Nun ist mir an Allgemeinbildung als Schüler schon zugeflogen, dass bei US-Präsidentenwahlen weniger als 50% teilnehmen, und bei Parlamentswahlen sogar weniger als ein Drittel. Das hängt mit dem komplizierten Registrieren von Wähler*inne*n zusammen, das schon immer die unteren Gesellschaftsschichten absichtsvoll diskriminierte und von der Willensbildung fernhalten wollte. Zusammen mit dem “Die da oben machen ja sowieso, was sie wollen” funktioniert das dort noch besser als hier.
Die Kandidatur des Schwarzen Barack Obama durchbrach diesen Mechanismus erstmals systematisch. Und die Mamdani-Kampagne hat das auch getan: Michael Kinnucan/Jacobin: “Wie Mamdani das Establishment geschlagen hat – Zohran Mamdani hat einen atemberaubenden Wahlkampf geführt. Ermöglicht wurde sein Sieg aber auch durch die jahrelange Vorarbeit der demokratischen Sozialisten in New York, Zehntausende Freiwillige – und die Unfähigkeit des politischen Establishments.”
Ein zentraler Satz von Kinnucan lautet: “Unter diesen Umständen empfinde ich es als revolutionär, dass die Mamdani-Kampagne den Menschen nicht nur Hoffnung gegeben, sondern ihnen auch die Möglichkeit geboten hat, sich für Veränderungen direkt einzusetzen und Verbindungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen.” Diese 90.000 Campaigner*innen lehnen die Digitalisierung gewiss nicht ab. Entscheidend für den Erfolg aber sehen sie selbst den menschlichen Kontakt! Hört, hört!
“Mitte”-Wahlkämpfe sind tot
Es ist eine schlichte Kampagnen-Weisheit. Nicht, wer am mittigsten positioniert ist, gewinnt, sondern wer am besten zu mobilisieren weiss. So hat Trump zweimal gewonnen. Und so fährt die deutsche AfD ihre Gewinne ein. Sie hat den braunen Bodensatz, der in der deutschen Gesellschaft immer weiterexistierte, der aber nach dem Zweiten Weltkrieg das Wählen angenehm-realistisch lange für zwecklos gehalten hat (schon allein wegen der “schlimmen” alliierten Besatzung), wieder von den altdeutschen Sofas und aus den Computerkellern der Incels und Jungnazis an die Wahlurnen mobilisiert. Und Franz-Josef Strauß ist ja auch tot. Allein, den gesellschaftlichen Mainstream und seine Medien auf die Palme bringen zu können, ist eine objektive politische Wirkung, die dieses menschenfeindliche Pack befriedigen kann. Und also weiter mobilisiert.
Die deutschen Konservativen und rechten Liberalen haben längst entschieden, sich an diese real existierenden gesellschaftlichen Kräfte ranschmeissen zu wollen. Sie riskieren damit den Ruin der bürgerlichen Demokratie. Kann mann so machen, muss mann aber nicht. Ich halte es persönlich für zwecklos, die, die sich dafür entschieden haben, von Besserem überzeugen zu wollen.
Was also können die tun, die die bürgerliche Demokratie nicht nur erhalten, sondern auch weiter entwickeln wollen? Eine imaginäre “Mamdani-Koalition” ist in Deutschland nicht sichtbar. Wenn ich allein höre, was meine Partei unserem Freund Küppi zur Vermögenssteuer geantwortet hat, dann ist das mit “ärgerlich” sehr, sehr höflich beschrieben. Auch ist eine Bündnis-Trias aus Klimaschutz-sozialer Gerechtigkeit-Frieden&Abrüstung, aus denen in der West-BRD (und auch in der DDR) die Grünen entstanden waren, heute in Deutschland und der EU inhaltlich kaum mehr vorstellbar. Obwohl sie sich inhaltlich gegenseitig bedingen, und allein, ohne die anderen beiden Punkte, gar nicht herstellbar sind. Eine Falle, in die SPD und Grüne sehenden Auges hineingelaufen sind, zum Wohlgefallen der herrschenden Mächtigen, denen die Sintflut nach ihnen wurst ist.
Ich erwarte ihre und Ihre Vorschläge.