Theater: Neues Fleisch in virtueller Realität
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Theater: Neues Fleisch in virtueller Realität
Bin ich gerade Proband eines Experiments oder Zuschauer einer Performance? „Neues Fleisch“ im Deutschen Theater entführt mit virtueller Realität in eine andere Welt und verstört dabei auf wunderbar achtsame Weise.
07.04.2025 um 13:47 Uhr
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Markus Reuter – in
Kultur –
keine Ergänzungen Je nachdem, welchen Weg man einschlägt, bekommt man ein anderes Gegenüber zu sehen.
– Alle Rechte vorbehalten internil / Deutsches Theater In der großen dunklen Probebühne des Deutschen Theaters in Berlin strahlt ein greller, weißer Raum, steril, darin zwei Wissenschaftler:innen, ganz in Weiß, mit Datenhandschuh. Sehr freundlich bekomme ich den Platz auf dem Drehstuhl am Tisch zugewiesen, die große VR-Brille und Kopfhörer aufgesetzt. Dann tauche ich ein. Nach der Kalibrierung wird mir ein Körper gezeigt und gemessen, wohin meine Augen schauen. Eine Heatmap zeigt mir, wohin ich geschaut habe. Ich fühle mich beobachtet und überwacht, das cleane und wissenschaftliche Setting tut sein Übriges für dieses Gefühl.
Regisseur Arne Vogelgesang hat mit „Neues Fleisch“ eine etwa halbstündige Performance für jeweils einen einzelnen Zuschauer geschaffen, der an einem scheinbar wissenschaftlichen Experiment teilnimmt, samt Zustimmungsbogen und Auswertung danach. Ein Fragebogen, den Teilnehmende am Anfang ausfüllen müssen, hat Einfluss darauf, was sie später zu sehen bekommen: Mögen Sie Blut und Wunden? Möchten Sie provozieren oder provoziert werden?
Die Grafiken der virtuellen Realität sind schlicht gehalten, aber dadurch nicht weniger beeindruckend. Mit weichen und schönen Stimmen sprechen Arne Vogelgesang und Künstlerin Marina Dessau zu den Bildern. Ich kann mich allerdings kaum auf ihre Worte konzentrieren, mich lenkt die virtuelle Realität ab.
Eine Figur legt Messer vor mir ab
Mir gegenüber sitzt eine augenlose Figur am Tisch und legt irgendwann einen ganzen Satz Messer vor mir ab. Am Anfang traue ich mich kaum zur Interaktion, später nehme ich ein Messer und überlege, mein Gegenüber damit anzugreifen, aufzuschneiden. Ich halte mich dann doch lieber zurück.
Wieder einmal schafft es Arne Vogelgesang, den viele vor allem von seinen performativen und spannenden Vorträgen kennen, in eine andere Welt zu entführen und dabei auf sehr achtsame Weise zu verstören. Das gelingt trotz des Tabu-Themas Kannibalismus unaufgeregt, wissenschaftlich und mit viel gefühlvoller Ruhe.
Die Performance kann nur eine Person auf einmal erleben; sie dauert etwa 30 Minuten und wird mehrfach wiederholt. Wer selbst dabei sein möchte, muss sich vorher anmelden. Ab nächster Woche ist „Neues Fleisch“ am Volkstheater Wien zu sehen und danach hoffentlich noch auf Festivals.
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Author: Markus Reuter
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