Spionage-Kontroverse an TU München: Forscherin an staatsnahem chinesischen Firmennetzwerk beteiligt
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China Science Investigation
Spionage-Kontroverse an TU München: Forscherin an staatsnahem chinesischen Firmennetzwerk beteiligt
Die Spionage-Kontroverse um eine Professorin der TU München weitet sich aus: Nach CORRECTIV-Recherchen ist sie mit ihrem Ehemann in China an einem staatsnahen Firmennetzwerk im Medizinbereich beteiligt. An ihrem Lehrstuhl war das Ausmaß ihrer Nebentätigkeiten nicht bekannt.
von Till Eckert
, Alexej Hock
19. Mai 2025
(Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV)
Ihre Forschung diene dem „sozialen Gut“, sagte die Spitzenwissenschaftlerin Z. im Jahr 2019 bei einem Vortrag. Als Professorin der TU München (TUM) arbeitet sie im Bereich der Satellitenbildanalyse in Kombination mit KI- und Social-Media-Daten. Sie sagte bei dem Vortrag, sie wolle einen Beitrag leisten, wenn es um soziale Herausforderungen wie die globale Urbanisierung und Armut geht.
Rund 8.600 Kilometer von München entfernt, im ostchinesischen Wuxi, residiert eine Firma, die in ihrem Logo einen frappierend ähnlichen Spruch führt: „KI für das soziale Gut“. Doch hier geht es nicht um Satellitenaufnahmen, sondern um medizinische Ultraschallbilder. Man will Lösungen entwickeln, die Millionen kranken Menschen helfen könnten.
Es ist eine Verbindung, die normalerweise gar nicht auffallen würde. Doch der Fall der Professorin Z. ist alles andere als normal: Ihr zweiter Arbeitgeber, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), hat die Frau chinesischer Herkunft der Ausspähung sensibler Daten verdächtigt. CORRECTIV hatte kürzlich über den Verdacht berichtet. Der Vorgang beschäftigt inzwischen die Politik: Die Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag hat eine Stellungnahme der Landesregierung gefordert. Führende Innen- und Sicherheitspolitiker zeigen sich alarmiert.
Nun dürfte sich die Spionage-Kontroverse ausweiten. Recherchen von CORRECTIV zufolge ist sie gemeinsam mit ihrem Ehemann an der millionenschweren Medizin-Firma in Wuxi beteiligt. Beide melden für diese Firma Patente an – auf einem Gebiet, das Überschneidungen mit ihrer Forschung in München aufweist.
Es handelt sich möglicherweise um einen Fall von illegitimem Technologietransfer: Z. entwickelt in München Algorithmen für die Analyse von Satellitendaten. Diese könnten laut Experten auch für die Auswertung von Ultraschallbildern nutzbar sein. Ergebnisse aus ihrer Tätigkeit in München könnte so in medizinische Forschungen und Anwendungen in China fließen – und Z. und ihr Ehemann damit Geld verdienen. Am Lehrstuhl ist das Ausmaß der Nebentätigkeiten der Professorin nicht bekannt. Fachleute, die den Sachverhalt für CORRECTIV einschätzen, zeigen sich deshalb alarmiert: Für sie wirft der Fall ethische, rechtliche und sicherheitspolitische Fragen auf.
Denn das zweite Standbein in China könnte auch ein Sicherheitsrisiko darstellen. Eine freie kommerzielle Forschung gibt es in der Volksrepublik nicht: alle Bereiche werden dort auf die militärische Nutzbarkeit abgeklopft. Ihre Forschung bei der Satellitenbildanalyse ist für Militäranwendungen höchst relevant. China könnte sie beispielsweise im Territorialkonflikt um Taiwan nützen. Denn wenn sich die Algorithmen von einem Feld auf das andere übertragen lassen – dann geht das auch wieder in die andere Richtung.
Die Forscherin will sich nicht zum Sachverhalten äußern, wie sie über einen Anwalt mitteilen ließ. Auch ein Sprecher der TUM teilte auf einen umfangreichen Fragenkatalog von CORRECTIV mit: „Wir äußern uns nicht zu personalrechtlichen Themen von Mitarbeitenden.“ Die Dimension und Bedeutung von Z.’s Beschäftigung in China drängt die Frage auf: Wurde diese brisante Verbindung in München übersehen?
Millionensummen fließen in staatsnahes Firmennetzwerk
Dass Z. offenbar ein Gespür dafür hat, wie sie als Forscherin ihr Know-How kommerzialisieren kann, hätte man schon 2018 erkennen können. Wissenschaftler seien oft „gut bei ihrer Forschungsarbeit, aber schwach in der Durchführung und Vermarktung von Projekten“, zitierte China Daily Z. damals. In dem Bericht über den Besuch einer internationalen Gruppe durch einen Forschungscampus im chinesischen Qingdao wird Z. in eine Reihe mit einem Nobelpreisträger und weiteren Spitzenforschern gestellt.
Im gleichen Jahr, das zeigen Recherchen von CORRECTIV, startete das chinesische Start-Up Med Imaging AI durch – und damit vermutlich auch Z.’s Karriere als Unternehmerin. Laut Handelsregisterdaten, die der Anbieter Sayari zusammengetragen hat, sind Z. und ihr Ehemann aktuell mit jeweils 15 Prozent an der größten Gesellschafterin der Firma mit Sitz in Wuxi beteiligt. Die Firma wendet Prozesse aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz in der medizinischen Diagnostik an. Es ist ein Zukunftsfeld: Die Staatsführung in China hat kurz zuvor einen nationalen KI-Plan verabschiedet. Bis 2030 soll die Volksrepublik auf dem Gebiet weltweit führend sein.
Innerhalb von acht Jahren hat die Firma einen rasanten Aufstieg in der Volksrepublik erlebt. Das High-Tech-Unternehmen gewinnt nach eigenen Angaben staatliche Preise, Förderprogramme und Aufträge. Für das Jahr 2021 wurden Umsatzerlöse von umgerechnet 3,7 Mio. Euro geschätzt. Die Beratungsfirma Deloitte listete Med Imaging AI zuletzt auf Platz 28 der wachstumsstärksten High-Tech-Unternehmen Chinas.
Wer chinesische Handelsregisterdaten prüft, stößt letztlich auf ein ganzes Firmennetzwerk rund um Med Imaging AI in China. Es geht um medizinische Forschung, Algorithmen für die Analyse von Ultraschallbildern. Dafür fließen offenbar Millionensummen.
Ein Labor, von dem in München niemand etwas weiß
Der Grundstein für den Erfolg liegt auch in Deutschland – so zumindest die Eigenbeschreibung auf chinesischen Job-Portalen. Dort ist die Rede von einem „vielseitigen strategischen Kooperationsverhältnis mit Deutschland“ seit 2018. Das Unternehmen sei „von einem Team aus Akademikern gegründet“ worden, die Forschungskapazitäten des Labors im Ausland zählen im Bereich der künstlichen Intelligenz „zu den drei größten in Deutschland“.
Solch ein Labor mit Verbindung zur Med Imaging AI gibt es aber nicht in Deutschland. Die TUM äußerte sich uns gegenüber nicht dazu. Ein Beschäftigter an Z.’s Lehrstuhl in München runzelt die Stirn: „Z. spricht hier nie über Medizinisches, wir haben hier gar nicht die Kompetenzen für sowas.“
Was ist also die Quelle für das Wissen, das im chinesischen Wuxi versilbert wird?
Eines fällt auf: Z.s heutige Geschäftspartner tauchten zu verschiedenen Zeitpunkten an ihrer Seite in München auf. Als „Labordirektor“ von Med Imaging AI wird ein Gastprofessor an Z.s TUM-Institut genannt. Der CTO der Firma arbeitete früher am Münchner Leibniz-Rechenzentrum und forschte mit Z. zu maschinellem Lernen mit neuronalen Netzen. Z.’s Ehemann wird als Leiter der Forschungsabteilung von Med Imaging AI genannt. Bis vor wenigen Jahren arbeitete er an der TUM am Lehrstuhl für Methodik der Fernerkundung.
Millionenschwere Patente und Verbindungen zum Staatsapparat
Z. und ihr Mann sind nicht nur Anteilseigner, sie forschen und melden Patente an. Bei zwei Erfindungen geht es um die Detektion von Schilddrüsenknoten mittels neuronaler Netze. Teils geht es um Modelle, mit denen Z. auch bei der Forschung zur Erdbeobachtung in München beschäftigt ist. Mitunter vermischen sich auf Arbeiten ihre Zugehörigkeiten: In einer jüngeren Forschungsarbeit zur Erkennung von Prostatakrebs ist Z. als TUM-Professorin gelistet, ihr Ehemann als Forscher für Med Imaging AI.
Für Christopher Bohlens, der für den Verein Transparency International Deutschland die Arbeitsgruppe Wissenschaft leitet und als Sachverständiger im Wissenschaftsrat tätig ist, sind diese Vorgänge bedenklich. „Die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen durch Universitätsangehörige muss strikten Transparenzanforderungen unterliegen. Ohne diese Transparenz droht ein Vertrauensverlust gegenüber der Öffentlichkeit“, sagt der Experte.
Laut ihm könnte ein Interessenkonflikt vorliegen, „insbesondere durch die parallele Beteiligung der Professorin an Unternehmen in China, die mit Technologien arbeiten, die sie auch im universitären Kontext erforscht“. Gerade Patentanmeldungen bedürfen laut Bohlens einer klaren Offenlegung und Prüfung: um sicherzustellen, „dass keine missbräuchliche Verwendung von Forschungsergebnissen oder Ressourcen der Universität stattfindet“.
Solche Patente sind viel wert. So hat das West China Universitätskrankenhaus in Chengdu im Jahr 2024 für umgerechnet 500 Tausend Euro vier gemeinsam angemeldete Patente von der Med Imaging AI übernommen – die alle von Z.’s Ehemann mitverfasst wurden. Auch finden sich direkte Kooperationen mit staatlichen Institutionen. So nahm ein Tochterunternehmen einen staatlichen Auftrag an, das Krankenhaus in Chengdu mit Equipment zu beliefern.
Das Ehepaar tritt auch öffentlich im Namen des Unternehmens auf – und zeigt dabei keine Berührungsängste mit dem chinesischen Staat. Im Jahr 2023 haben sie als Experten an einem Weißbuch zu Künstlicher Intelligenz in der Medizingeräte-Industrie mitgeschrieben. Der Bericht wurde von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht, die staatlich kontrolliert wird.
Z.’s Ehemann wird in München indes eine „dubiose Figur“ genannt. Ein Insider berichtet davon, dass er bei einem gemeinsamen Kooperationsprojekt der Lehrstühle von Z. und dem Lehrstuhl für Wasserbau als Leitung vorgestellt worden sein soll, jedoch keine E-Mail-Signaturen verwendete. Fraglich sei gewesen, ob der Mann zu dem Zeitpunkt überhaupt formell an Z.’s Lehrstuhl angestellt war.
In internen Dokumenten, die CORRECTIV vorliegen, findet sich für eine Anstellung als Lehrstuhl-Mitarbeiter bei Z. tatsächlich kein Hinweis. Allerdings wurde er offenbar als „Betreuer“ für Doktorandinnen und Doktoranden eingesetzt. Die TUM äußerte sich nicht auf unsere Anfrage zu seinem Beschäftigungsverhältnis an der Uni.
Militärische Nutzung nicht ausgeschlossen
Inwiefern hat Z. ihre Nebentätigkeiten und Patentanmeldungen gegenüber der TUM offengelegt? Sieht sie Interessenskonflikte zwischen ihrer KI-Forschung in München und den kommerziellen KI-Entwicklungen in China? Dies und vieles mehr hätte CORRECTIV gerne von Z. erfahren. Einen ausführlichen Fragenkatalog ließ sie aber unbeantwortet.
Die Forscherin könnte ideelle Beweggründe für ihre Investition in und Tätigkeit für die Med Imaging AI haben, den Spruch „KI für das soziale Gut“ ernst meinen. Falls mit dem Arbeitgeber TUM abgestimmt, wäre das vermutlich unter Umständen zulässig. Dann bliebe die Frage, ob sie einen geeigneten Investitionsstandort gefunden hat: In China gilt die Philosophie, dass Firmen neue Technologien dem Staat anbieten oder verfügbar machen sollen – und somit unter anderem Hochtechnologien zur Nutzung in jedem vorstellbaren Bereich freigeben, bis hin zum Militär.
Laut Experte Bohlens ergibt sich daraus ein ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko: „Die Professorin arbeitet an Algorithmen, die gleichermaßen für zivile und militärische Zwecke geeignet sind (Dual-Use-Technologie), wodurch erhebliche Gefahren für die nationale Sicherheit entstehen könnten.“
Doch auch falls Z. rein kommerzielle Interessen verfolgt, wäre es laut Bohlens „höchst problematisch“, sollte tatsächlich Wissen aus München abgeflossen sein. Denn schließlich hat Med Imaging AI inzwischen auch Produkte zur Diagnostik auf den Markt gebracht – die Firma befindet sich im Wettbewerb. Dieser wäre so laut Bohlens möglicherweise beeinträchtigt.
Erst im Februar ist in den USA ein früherer Mitarbeiter von Google angeklagt worden, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, Firmengeheimnisse aus dem Bereich KI gestohlen zu haben. Damit habe er zwei chinesischen Firmen, für die er heimlich arbeitete, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen. Ihm drohen mehrere Jahre Haft.
Text und Recherche: Till Eckert, Alexej Hock
Redaktion: Anette DowideitFaktencheck: Gesa SteegerDesign: Ivo MayrKommunikation: Esther Ecke, Katharina Roche, Nadine Winter
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Author: Till Eckert
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