Rumänien vor der Wahl: Wie Rechtsextreme das Land an den Abgrund treiben
Die Kandidaten der Stichwahl zur Präsidentschaftswahl in der Debatte. George Simion, Vorsitzender der rechtsnationalen Partei AUR (rechts), und Nicușor Dan, parteiloser Bürgermeister von Bukarest (links).
(Quelle: picture alliance / NurPhoto | Alex Nicodim)
Rumänien steckt seit über sechs Monaten in einer tiefen politischen Krise. Die ursprünglich für November 2024 geplanten Präsidentschaftswahlen wurden annulliert und auf Mai 2025 verschoben. Im Zentrum der Ereignisse stehen zwei rechtsextreme Kandidaten: Călin Georgescu, ein prorussischer Unabhängiger, und George Simion, Vorsitzender der rechtsextremen AUR (Allianz für die Vereinigung der Rumänen).
Călin Georgescu: Die Rückkehr des Faschismus mit orthodoxem Antlitz
Georgescu gewann überraschend die erste Wahlrunde im November 2024 mit über 23 Prozent der Stimmen. Seine Kampagne war geprägt von der Ablehnung liberaler Demokratie und Appellen an „moralische Reinheit“, „Ordnung“, „neue Eliten“ – sowie einer mystisch-nationalistischen Rückbesinnung auf Gott. Georgescu nutzte die geopolitische Lage Rumäniens, insbesondere die lange Grenze zur Ukraine, und bediente die Ängste vor Krieg. Er verbreitete prorussische Narrative, etwa dass „russische Weisheit“ eine Chance für Rumänien sei.
Rumänische Sicherheitsbehörden entdeckten unmittelbar nach der Wahl massive Verstöße gegen das Wahlkampffinanzierungsgesetz und Hinweise auf russische Einflussnahme. Gegen Georgescu wird seither juristisch ermittelt. Seine Kandidatur für die Neuwahl im Mai wurde ausgeschlossen.
George Simion: Der zweite Mann übernimmt
Das politische Vakuum, das Georgescu hinterlässt, füllt nun George Simion – AUR-Chef, rechtsextremer Nationalist und erklärter Anhänger Georgescus. Simion kündigte an, Georgescu im Falle eines Wahlsiegs zum Premierminister zu ernennen – ein deutliches Signal der ideologischen Verbundenheit.
Simion ist ein ehemaliger Aktivist für die Vereinigung Rumäniens mit der Republik Moldau. Er inszeniert sich als Anti-Establishment-Kandidat und verbindet Nationalismus mit Orthodoxie und EU-Skepsis. Zwar beteuert er, Rumänien in EU und NATO halten zu wollen, lehnt aber jegliche militärische Unterstützung der Ukraine ab.
Manipulierte Wahl: Der digitale Vormarsch der Rechten
Der Erfolg von Georgescus Wahlkampfs lässt sich hauptsächlich durch undurchsichtige Social Media Aktivitäten erklären: Zwischen November und Dezember 2024 verbreiteten tausende Social-Media-Konten Videos und Memes von Georgescu, die gezielt nicht-traditionelle Wählergruppen ansprechen, besonders via TikTok.
Binnen drei Wochen stieg seine Zustimmung von einem Prozent auf über 23 Prozent.
Obwohl Călin Georgescu nur einige Hunderttausend Follower auf TikTok hatte, erzielten seine Wahlkampfclips kurz vor der Wahl über 53 Millionen Aufrufe. Nach Angaben des rumänischen Geheimdienstes war dieser virale Erfolg kein Zufall, sondern das Ergebnis einer gezielten und professionell gesteuerten Kampagne. Ein Netzwerk aus rund 25.000 TikTok-Konten – darunter Bots und bezahlte Mikro-Influencer – wurde wenige Wochen vor dem ersten Wahlgang aktiviert. Letztere erhielten für ihre Video-Testimonials etwa 80 Euro pro Beitrag, so der BR.
Georgescu hatte erklärt, keine Ausgaben für seine Social-Media-Kampagne gemacht zu haben – ein klarer Verstoß gegen das Wahlgesetz. Aufgrund dieser Manipulationsvorwürfe und der Hinweise auf einen „aggressiven russischen hybriden Angriff“ erklärte das Verfassungsgericht die Präsidentschaftswahl für ungültig.
Die neuen Wahltermine wurden in den Mai 2025 verschoben.
Radikalisierte Wähler *innen, gespaltene Gesellschaft
Der Ausschluss Georgescus aus dem Rennen führte nicht zu gesellschaftlicher Befriedung – im Gegenteil: Seine Anhängerschaft wuchs, die Propaganda nahm zu, die Online-Gewalt eskalierte. Viele Wähler*innen lehnen die vorgelegten Beweise für russische Einflussnahme ab und empfinden die Entscheidung des Verfassungsgerichts als Angriff auf ihre Stimme.
Die Folge: eine gefährliche Radikalisierung, die Teile der Gesellschaft unzugänglich für den demokratischen Diskurs macht. Das Vertrauen in staatliche Institutionen schwindet, die Polarisierung nimmt zu.
In Rumänien hat die Nutzung sozialer Medien in den letzten Jahren zu einem deutlichen Anstieg von Hass, Desinformation und Gewalt geführt – sowohl online als auch offline. Über 1.000 Facebook-Seiten und 25.000 TikTok-Accounts, viele davon mit russischem Ursprung, verbreiteten gezielt Fake News, Hetze und prorussische Narrative während der Präsidentschaftswahl. Allein auf Facebook wurden 3.640 politische Anzeigen mit gewaltverherrlichenden Inhalten geschaltet und damit potenziell 148 Millionen Menschen erreicht.
Die Netzwerke der extremen Rechten: Kirche, Militär Reservisten
Der Aufstieg der AUR ist kein isoliertes Phänomen, sondern Teil eines breiteren, europäischen Trends autoritärer Souveränitätsbewegungen. Besonders auffällig ist die Rolle der Rumänisch-Orthodoxen Kirche (ROK): Offiziell neutral, unterstützen viele Geistliche dennoch offen die AUR und Georgescu – insbesondere in der rumänischen Diaspora Westeuropas.
Auch Armee-Reservisten spielen laut Recherchen eine Rolle beim Aufbau der AUR.
Die Radikalisierung der Rhetorik der rumänischen Partei AUR spiegelt sich deutlich in einem Manifest wider, das von der AUR-Abgeordneten und pensionierten Generälen Mircia Chelaru initiiert und von über 500 Reservisten unterzeichnet wurde. Das Dokument fordert unter anderem die Verstaatlichung der natürlichen Ressourcen, die Beschränkung des Verkaufs von Land an Ausländer und die Stärkung der nationalen Identität. Der Politikwissenschaftler Cristian Pîrvulescu sieht in dem Manifest einen indirekten Aufruf zu einem Militärputsch und warnt vor den faschistischen Tendenzen in der Sprache des Dokuments.
Diese Netzwerke tragen zur politischen Normalisierung rechtsextremer Inhalte bei. freiheit.org
Über 40 rechtsextreme und orthodoxe Organisationen – darunter Pro Vita, die Orthodoxe Bruderschaft, Gogu Puiu und die Haiducken aus Dobrogea – veröffentlichten im Dezember 2024 einen offenen Appell zur Unterstützung Georgescus.
Kipppunkt für die rumänische Demokratie?
Die rechtsextreme AUR hat mit George Simion einen Kandidaten im Rennen, der bei der Stichwahl um das Präsidentenamt am 18. Mai 2025 als Favorit gilt. Im ersten Wahlgang erhielt er rund 41 Prozent der Stimmen. Auf der anderen Seite steht Nicușor Dan, der parteiloser Bürgermeister von Bukarest.
Im ersten Wahlgang erhielt er knapp 21 Prozent der Stimmen und setzte sich damit knapp gegen den Kandidaten der Regierungskoalition durch. Er steht für einen pro-europäischen Kurs, Digitalisierung, Bürokratieabbau und eine technokratische Modernisierung des Staatsapparats.
Die enge Verflechtung rechtsextremer Ideologie mit staatlichen und religiösen Strukturen stellt eine ernste Gefahr für die rumänische Demokratie dar. Die internationale Gemeinschaft verfolgt die Entwicklungen mit wachsender Sorge – Rumänien ist ein strategischer Pfeiler von EU und NATO. Es steht viel auf dem Spiel.
Über die Autorin: Madalina Gheorghiu ist Demokratieaktivistin. Sie engagiert sich in Deutschland und Rumänien gegen Korruption, autoritäre Netzwerke und rechte Desinformation.