Handys in der Schule: „Nicht gleich die Verbotskeule schwingen“
Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Handys in der Schule: „Nicht gleich die Verbotskeule schwingen“
Die Debatte um die Handynutzung in der Schule dreht sich weiter. Mehrere Bundesländer wollen Verbote durchsetzen. Aus medienpädagogischer Sicht ist das kaum zu rechtfertigen, warnt die Expertin Kathrin Demmler. Schulen müssten sich stattdessen viel mehr mit technischen Geräten befassen.
19.05.2025 um 13:40 Uhr
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Chris Köver – in
Nutzerrechte –
6 Ergänzungen Handy verbannt, Problem gelöst?
– Alle Rechte vorbehalten IMAGO/Bihlmayerfotografie In Bremen ist es entschieden: Ab Anfang Juni dürfen Schüler:innen bis zur 10. Klasse in der Schule kein Handy mehr benutzen, die Geräte müssen ausgeschaltet in der Tasche bleiben. Handys hätten in der Schule keinen Sinn, sagt Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD). „Sie sind nicht notwendig, aber sie stellen eine potentielle Ablenkung und Gefährdung für Schülerinnen und Schüler dar.“
Auch Hessen debattiert derzeit einen Gesetzentwurf von CDU und SPD, der Handys aus der Schule verbannen soll. Darin heißt es, Schulen müssten „Smartphone-Schutzzonen“ sein, digitale Medien würden für Schüler:innen Gefahren bergen und außerdem der Konzentration schaden.
Auch die neue Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU), bis vor Kurzem noch für die Schulpolitik in Schleswig-Holstein zuständig, schaltet sich in die Debatte ein. Ihre Haltung dazu sei klar, sagte Prien: „In der Grundschule sollte die private Handynutzung verboten sein. An den weiterführenden Schulen sollten möglichst altersgerechte Regeln gefunden werden.“
Handys haben an der Schule generell nichts verloren? Kathrin Demmler reagiert auf solche pauschalen Verbotsforderungen inzwischen „allergisch“, wie sie sagt. Demmler ist Direktorin des Vereins JFF – Jugend Film Fernsehen, zudem Mitherausgeberin der Zeitschrift für Medien und Erziehung „Merz“. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Schulen mit technischen Geräten umgehen sollen. Sie warnt: Mit den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen haben die Verbotsforderungen der Politik gerade nur wenig zu tun.
„Ein generelles Verbot ist nicht zum Wohl von Kindern“
netzpolitik.org: Frau Demmler, warum hören wir derzeit wieder so viele Forderungen nach einem Handyverbot in der Schule?
Demmler: Das sind Wellenbewegungen, die nicht zur Ruhe kommen. Wir haben es derzeit viel mit populistischen Nachrichten zu tun, die über das Handy uns und auch Kinder und Jugendliche erreichen. Wir merken, dass die Kompetenzen der Lehrpersonen nicht in dem Maß voranschreiten, wie man es sich wünschen würde. Und das weltweit Schlagzeilen machende Social-Media-Verbot in Australien hat sicher auch seinen Teil dazu beigetragen.
netzpolitik.org: Die australische Regierung hat im vergangenen Jahr ein Social-Media-Verbot für alle unter 16-Jährigen beschlossen. Welchen Effekt hat das auf die Debatte in Deutschland?
Demmler: Das passt in unsere politische Landschaft. Da heißt es: Schaut, die reden nicht, die greifen durch. Das wird ja auch hier von vielen gefordert: Die Politik soll handeln. Und die Australier sagen: So schwer ist es nicht, mit diesem Schund ein Ende zu machen.
Das Faszinierende an der aktuellen Verbotswelle: Wir hatten unterschiedlichste Themen über die Jahre. Als die ersten Handys mit Videofunktion auf dem Markt kamen, ging es um Gewaltvideos, wir hatten immer wieder Debatten um Mobbing. Jetzt gerade geht es vor allem um den Content, etwa TikTok-Videos aus Kriegsgebieten. Aus fachlicher Sicht ist das kaum mit einer Verbotsdebatte in Einklang zu bringen. Denn wenn Smartphones in der Schule verboten sind, wie soll ich damit einen Umgang finden?
netzpolitik.org: Aus fachlicher Sicht sind Sie gegen ein pauschales Verbot?
Demmler: Schulen oder Kommunen können gerne Empfehlungen aussprechen, etwa: In der Unterstufe müssen Smartphones in der Tasche bleiben. Da ist nichts gegen einzuwenden. Ich mache das auch keiner Lehrperson zum Vorwurf, dass sie sich ein Verbot wünscht. Das ist ein logischer Reflex zu denken: Ich verbanne das Handy aus der Schule und damit das ganze Thema. Aber die Erfahrung zeigt, dass ein generelles Verbot nicht zum Wohl von Kindern ist. Deswegen reagieren wir inzwischen allergisch auf diese Verbotsdebatten.
Es ist auch die Frage aus meiner Sicht: Wie setzt man so ein Verbot dann durch? Darf man ein Handy wegnehmen? Ist das nicht zu kurz gegriffen und müsste man nicht viel stärker den Dialog suchen? Das Wegnehmen löst vielleicht kurzfristig ein Problem, aber nur, indem es das vom Tisch wischt.
Wer das Handy verbannt, löst nur kurzfristig Probleme, warnt Medienpädagogin Kathrin Demmler, Direktorin der Vereins JFF – Jugend Film Fernsehen e. V.
– Alle Rechte vorbehalten Porträt: JFF; Montage: netzpolitik.org„Es gibt keinen Grund für ein Verbot“
netzpolitik.org: Was sollte stattdessen an Schulen passieren?
Demmler: Es gibt keine gute Studienlage zu den Auswirkungen von Verboten. Aber man erkennt eine ganz leichte Tendenz, dass es dort, wo Handyverbote gelten, auch mehr Mobbing und Gewalt gibt an Schulen. Das hat sicher nichts mit dem Handyverbot zu tun, sondern eher mit der Haltung der Schule. An solchen Schulen wird vermutlich generell weniger auf Schüler:innen eingegangen. Und wir wissen, dass gerade Cybermobbing damit zusammenhängt, dass Schüler.innen niemanden haben, an den sie sich wenden können.
Es gibt also keinen Grund für ein Verbot, außer dass man das Problem vom Tisch haben will. Der Weg ist, sich mit dem Smartphone als Zugangsgerät mehr auseinanderzusetzen, und das ist mühsam.
netzpolitik.org: Die Verfechter:innen eines Verbots argumentieren auch damit, dass die Geräte im Unterricht zu sehr ablenken. Ist da etwas dran?
Demmler: Klar braucht es Vereinbarungen. Unreglementiert ist das eine Riesenablenkung. Es werden ja auch nicht alle in Familien groß, wo eine gute Mediennutzung stattfindet. Man muss den Umgang damit lernen, das gilt auch für Erwachsene. Aber die Verbotsdebatte führt das für mich ad absurdum. Ein Verbot ist immer die pauschalste Regelung. Damit ist nicht geregelt, wie man sich verhält. Wir wollen, dass Lehrpersonen für Kinder und Jugendliche Ansprechpersonen sind, wenn die mit ihrem Smartphone in Probleme tappen. Wenn ich aber Geräte in der Schule generell verbiete – wie soll ich mich da als Gesprächspartnerin anbieten?
Wir haben die große Sorge, dass ein Verbot auf keinen Fall zu mehr Befassung damit in der Schule führen wird. Die Kinder finden nicht die Ansprechpersonen, die sie bräuchten für ihre Fragen.
„Viel mehr Dos als Don’ts“
netzpolitik.org: Viele Schulen geben sich bereits heute in eigener Verantwortung Regeln für den Umgang mit Geräten, manchmal unter Mitwirkung der Schüler:innen. Teils sind Handys oder ihre Nutzung im Unterricht oder auf dem Schulgelände verboten. Wozu braucht man da noch gesetzliche Regelungen?
Demmler: Das ist sinnvoll, wo es darum geht, welches Recht Lehrpersonen haben, wenn gegen Regelungen verstoßen wird. Haben sie zum Beispiel das Recht, ein Smartphone einzubehalten. Schüler:innen machen ja tatsächlich auch verbotene Dinge mit dem Handy, verletzen etwa die Persönlichkeitsrechte anderer Personen. Da brauchen Lehrpersonen Handlungssicherheit.
netzpolitik.org: Was sollte sonst noch von den Ländern geregelt werden?
Demmler: Die Kultusministerien müssen Rahmenvereinbarungen machen. Es ist zum Beispiel absolut sinnvoll, eine altersabgestufte Lösung in der Schule einzurichten: Für Grundschulen etwa zu sagen, dass Kinder kein Smartphone mitbringen sollen. Ab der 5. Klasse haben die meisten Kinder ein Smartphone, da kann man sich auf den Kopf stellen. Auch dafür kann man aber Vereinbarungen treffen: Richtet man eine Handygarderobe ein oder sagt, die Geräte bleiben in den Rucksäcken? Welche Ausnahmen davon soll es geben? Wir haben ja etwa regelmäßig den Fall, dass Lehrkräfte auf die Endgeräte der Kinder zurückgreifen müssen, wenn im Unterricht etwas recherchiert werden soll, weil die Schule zu schlecht ausgestattet ist. Was ist mit Kindern in Ganztagsschulen? Sollten die ihre Handys in der Mittagspause nutzen dürfen?
Für all das braucht man Rahmenvereinbarungen und viel mehr Dos als Don’ts. Eine Positivregelung wäre dann: Handys sind in der 5. bis 7. Klasse sinnvoll an diesem Ort aufgehoben.
netzpolitik.org: Gerade für Jugendliche ist ihr Handy eine wichtige Verbindung, um sich mit Freunden zu vernetzen, sich zu informieren oder an Debatten im Netz teilzunehmen. Wie passt das mit einem Verbot in der Schule zusammen?
Demmler: Digitale Endgeräte sind wichtig zur Teilhabe an sozialen Interaktionen, an Freundesgruppen, aber auch um zu lernen, wie nehme ich Teil an Diskursen. Das zum Thema zu machen, ist Aufgabe der Schule. Gleichzeitig kann ich auch wunderbar über die Möglichkeiten der digitalen Partizipation sprechen. Was eignet sich denn besser dafür als gemeinsam zu überlegen, wie man das Handy in der Schule nutzen will? Das ist ein Paradebeispiel, um den Sinn von Teilhabeprozessen zu verdeutlichen.
netzpolitik.org: Wie gehen unsere Nachbarländer mit Handys in der Schule um?
Demmler: Frankreich hat ein komplettes Nutzungsverbot für alle Grundschulen. Für weiterführende Schulen gilt seit 2018 ein Verbot, aber da werden gerade Ausnahmeregelungen diskutiert. Die Niederlande sind auch relativ streng, zugleich aber auch sehr gut mit digitalen Endgeräten in der Schule ausgestattet. In Dänemark ist es ähnlich wie hier. Ein landesweites Nutzungsverbot wird diskutiert, ist aber noch nicht durch.
„Schüler:innen wünschen sich faire und transparente Regeln“
netzpolitik.org: Gibt es Erkenntnisse dazu, dass Schüler:innen an diesen Schulen weniger abgelenkt sind?
Demmler: In Querschnittsanalysen von Studien erkennt man leichte Tendenzen für einen Zusammenhang von mehr Smartphone-Nutzung und schlechteren schulischen Leistungen. Aber ein Handyverbot führt zugleich nicht zur besseren Leistungen.
netzpolitik.org: Wie erklären Sie sich das?
Demmler: Medien sind immer eingebettet in das Sozialhandeln. Ein Kind, das sehr intensiv sein Smartphone nutzt, hat vielleicht gerade andere Probleme, von denen es sich ablenken will. So ein Kind hat dann auch Probleme in der Schule. Ob das von der Smartphone-Nutzung kommt, weiß man nicht. Wir Pädagoginnen schauen uns den Kontext an. Man kann das nicht isoliert betrachten und sagen: Ich nehme das Smartphone weg aus der Schule und dann habe ich folgenden Erfolg.
netzpolitik.org: Was wünschen sich die Schüler:innen selbst, wenn man sie fragt?
Demmler: Sie wünschen sich klare, faire und transparente Regeln, die für alle gelten. Sie wünschen sich, dass man sich nicht nur mit den Regeln für Schüler:innen befasst, sondern auch mit denen für Erwachsene. Die Regeln müssen nicht gleich sein, so naiv sind sie nicht, aber es soll welche geben. Sie wünschen sich, dass sie mitreden dürfen. Sie wünschen sich, dass digitale Endgeräte viel stärker ein Thema sind. Und sie wünschen sich Erwachsene, die ihre Probleme verstehen und nicht gleich die Verbotskeule schwingen, sondern gemeinsam eine Lösung suchen.
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Author: Chris Köver
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